Kommunen sollen Facebook verlassen? Das Wort Bürgernähe scheint vielen Datenschützern ein Fremdwort zu sein, meint Christian Erhardt
Kommunen sollen Facebook verlassen? Das Wort Bürgernähe scheint vielen Datenschützern ein Fremdwort zu sein, meint Christian Erhardt
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Leitartikel

Datenschützer: Die Totengräber der Bürgernähe

Datenschützer wollen Kommunen die Nutzung von Facebook und Co verbieten. „Was wären die sozialen Medien ohne die Besonnenheit, die Autorität und die Faktentreue der Bürgermeister und Verwaltungen“, fragt Christian Erhardt und fordert Kommunen auf, dem Druck der selbsternannten Datenretter zu widerstehen.

Der Vorwurf ist ebenso dreist wie absurd: „Bürgermeister in Deutschland machen sich zum Handlanger profitgieriger Datenkraken, genannt soziale Netzwerke“. Mit einer Untersagungsverfügung wollen Deutschlands selbsternannte Datenschützer der Kommunikationsstrategie von Bürgermeistern und Verwaltungen den Garaus machen. Das ist schon deshalb absurd, weil die Plattformen weder verboten, noch ihre Mechanismen rechtswidrig sind. Und wenn Facebook und Co doch Gesetze brechen, etwa im Datenschutz, dann gibt es genau dafür die Mittel des Gesetzes. Was sollten profitgierige Netzwerke mehr fürchten als millionenschwere Bußgelder? Nur muss man ihnen dafür erst einmal Verstöße nachweisen. Und genau das bleiben die Datenschützer bisher schuldig. Sie nehmen lieber die Kommunen in die Pflicht, statt die Verantwortlichen im Silicon Valley und anderswo. Und die Politik in Berlin und in den Bundesländern scheut sich einmal mehr, sich mit den Datenschützern anzulegen.

Datenschützer und die fehlende Bürgernähe 

Die Bürger hingegen haben sich längst entschieden. Sie sind für die Vorteile der sozialen Netzwerke sehr wohl bereit, den Preis in Form von Daten zu bezahlen. 23 Millionen Deutsche besuchen pro Tag allein das Netzwerk Facebook, Millionen weitere sind auf Instagram, Twitter und die Jüngeren in Scharen auf TikTok unterwegs. Die sozialen Medien sind also Massenanwendungen, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Und von Bürgermeistern und Kommunen erwarten wir zurecht Bürgernähe – und somit eine unbedingte Präsenz auf diesen Netzwerken. Mehr noch: Die Bürger haben ein Recht, von uns sachlich informiert zu werden! Absurd, wer 33 Jahre nach Erfindung des Internets ernsthaft auf die Idee kommt, Kommunen sollten sich aus einer digitalen Welt zurückziehen, die längst zu unserer aller Wirklichkeit geworden ist. Weltfremder geht es nicht.



Und was wäre gewonnen, würden sich die Kommunen zurückziehen? Virtuelle Bürgersprechstunden, Informationen aus der Ratsarbeit, Informationen über Gefahrenlagen. Was früher der Schaukasten an der Landstraße war, vielleicht noch das Amtsblatt oder die lokale Tageszeitung, ist heute der virtuelle Raum der sozialen Medien. Vor allem können Bürgermeister hier direkt reagieren. Gerüchten in der Gemeinde Fakten entgegensetzen. Transparent sein. Ein offenes Ohr haben. Direkt kommunizieren. In jeder Sonntagsrede wird gefordert, die Verwaltungen müssten bürgernäher werden. Bitteschön: Hier sind sie es! Und was wären die sozialen Netzwerke ohne die Besonnenheit, die Autorität und die Faktentreue der kommunal Verantwortlichen? Definitiv ein noch schlechterer und hasserfüllterer Ort.

Datenschützer empfehlen einsamen Ersatz für Behörden ohne Leser 

Die Datenschutzbeauftragten der Länder verweisen aktuell gerne auf mögliche alternative Netzwerke. Wobei man wissen muss, dass sie neben Facebook lange schon auch WhatsApp, Instagram, Tiktok und Clubhouse auf dem Schirm haben. Twitter mit seinem neuen Besitzer Elon Musk wird ohnehin mit Argusaugen beobachtet. Einzig Mastodon als einsamer Ersatz für Behörden ohne Leser wird von den Datenschützern im Moment noch empfohlen. Nur will kaum jemand auf eine Plattform wechseln, wo einem irgendwelche Serverbetreiber, die das in ihrer Freizeit tun, jederzeit und für immer löschen können. Ganz ohne rechtliche Grundlage. Auf dezentralen Servern, von denen unklar ist, wie sie geschützt sind und in denen schon jetzt geblockt wird ohne Ende, je nachdem, wer gerade welche Rechte auf dem Netzwerk besitzt. Vor allem aber stellt sich für öffentliche Stellen die Legitimationsfrage, wenn sie Zeit und Geld in ein Netzwerk investieren, auf dem sie faktisch niemanden erreichen. Das ist, als würde der Schaukasten mit den Informationen über die Stadt auf einem unzugänglichen, abgesperrten Gefahrengelände aufgestellt. Zu Recht würde solch ein Schaukasten bald in Satire-Sendungen wie Extra 3 landen.

Meinungsfreiheit gilt auch, wenn sie unbequem ist 

Was bleibt ist die unrühmliche Rolle der Politik, die sich nicht traut, sich mit den Datenschutzbeauftragten anzulegen. Das ist umso erstaunlicher, als dass es praktisch keinen Politiker von Rang gibt, der nicht auf Twitter tagtäglich meint, seine Meinung in die Welt hinausposaunen zu müssen. Unvergessen, was allein Gesundheitsminister Karl Lauterbach während der Corona-Krise so alles per Tweet rausgehauen hat. Und später teils zurücknehmen musste. So bleibt das mulmige Gefühl, dass es möglicherweise auch andere Gründe sind, die dazu führen, dass die Sozialen Medien von der Politik gerne verdammt werden. Denn hier zeigt sich auch immer wieder, was einige Politiker von Meinungsfreiheit auf den Kanälen halten. Sie sehen in ihr eine Gefahr, wenn die jeweils aus ihrer Sicht Falschen in den Genuss von Aufmerksamkeit kommen. In den sozialen Medien kann halt jeder seine noch so absurde Meinung kundtun. Er darf nur nicht erwarten, dass diese Meinung unwidersprochen bleibt. Den vermeintlich so toleranten darf man da wohl mangelnde Toleranz vorwerfen. Genau das Problem gibt es auf kommunaler Ebene nicht. „Überempfindlichkeit im Meinungskampf“ ist nicht gerade eine Domäne von Bürgermeistern. Sie sagen ihre Meinung frei heraus, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das zeichnet sie aus, das macht sie bürgernah. Und genau darum sind sie in den sozialen Medien genau richtig und wichtig!