Heavy-Metal-Festival
Wacken: Das Dorf der wummernden Bässe
Anfang Dezember ist von wummernden Bässen in Holstein nichts zu hören. Wabernde Nebelschwaden hängen über den abgeernteten Feldern. Nur wenige Fahrgäste sitzen im Überlandbus von Itzehoe. Wacken ist das letzte Dorf auf seiner Reise. Bürgermeister Axel Kunkel begrüßt Besucher im Feuerwehrgerätehaus: Wacken hat kein eigenes Rathaus. Viele Sitzungen finden bei der Feuerwehr statt. „Der Gemeinderat tagt in der Kneipe“, sagt Kunkel. Ohnehin träfen sich die Kommunalpolitiker meist abends. Denn in Wacken sind sie alle Ehrenamtler, auch der Bürgermeister.
Wacken-Open-Air bringt Heavy-Metal-Fans ins Dorf
Jedes Jahr im August wummern die Bässe über die Wiesen von Wacken. Das 2.000-Einwohner-Dorf im Schleswig-Holsteinischen Kreis Steinburg ist für das „Wacken Open Air“, eines der größten Heavy-Metal-Festivals, mittlerweile weltbekannt. In seinem Hauptberuf ist Kunkel Bauingenieur – im Ehrenamt nennt er sich selbst den „Hausmeister“ von Wacken. „Mich rufen die Menschen an, wenn eine Straßenlaterne repariert werden muss, oder auf dem Weg ein neues Schlagloch ist.“ Und Kunkel kümmert sich. Die Verwaltungsangelegenheiten der Gemeinde Wacken erledigt dagegen das Amt Schenefeld – aber auch so gibt es für den Bürgermeister noch jede Menge zu tun. Bis zu drei Stunden pro Tag wendet er auf sein Ehrenamt auf. „Mal muss eine Mitarbeiterin in der Kita verabschiedet werden, mal tagt der Finanzausschuss“, sagt Kunkel. „Irgendwas ist täglich.“ Im Moment sucht Axel Kunkel nach einem Grundstück für den Neubau eines Altenheims. „Da frage ich dann die Landwirte, ob sie Flächen abtreten wollen“, sagt Kunkel. Als Ortsansässiger wisse er ja, wer wo Flächen habe. „Das ist ganz schwierig, aber das ist der Job eines Bürgermeisters.“
Wacken als zentraler Ort eingestuft
Wichtig ist in einem Dorf wie Wacken vor allem die Daseinsvorsorge. Denn Wacken ist in der schleswig-holsteinischen Landesplanung ein „Zentraler Ort“: In der Hierarchie kommt es nach den Ober-, Mittel- und Unterzentren, aber vor den ganz normalen Dörfern. Für den Bürgermeister und den Gemeinderat schafft das zusätzliche Arbeit. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine ärztliche und zahnärztliche Versorgung haben, dass wir eine Schule haben und Kindergartenplätze anbieten“, sagt Kunkel. „Dazu kommen dann Versorgungsfunktionen, wie Supermärkte, Banken oder eine Tankstelle.“ Dabei ist der Bürgermeister Realist. „Oft haben wir keinen Einfluss darauf, was bei uns geschieht“, sagt Kunkel. „Aber manchmal können wir Weichen stellen.“ Für eine neue Ärztin hat die Gemeinde eine Praxis errichtet, für einen Zahnarzt eines der begehrten Baugrundstücke reserviert.
Heute zweifelt in der Gemeinde niemand mehr am ,Wacken Open Air‘.“
Und das „Wacken Open Air“? Die Gemeinde profitiert von dessen Bekanntheit. Dass es in Wacken relativ frühzeitig einen flächendeckenden Glasfaseranschluss für alle Häuser gab, hing wohl auch damit zusammen, dass dem Anbieter der Name „Wacken“ ein Begriff war. „Und welche Gemeinde hat ein Schwimmbad, mit 2.300 Quadratmetern Wasserfläche, top gelegen, gut in Schuss?“, fragt Kunkel. Die Gewerbesteuern des Festivals trügen dazu bei, dass Wacken sich so etwas leisten könne. Dazu sind die Veranstalter auch gern als Sponsoren aktiv, zum Beispiel wenn ein Sportverein neue Trikots braucht. Und viele Einwohner nehmen sich im August ein paar Tage frei von ihrer Arbeit, um sich mit einem Aushilfsjob beim Open Air etwas hinzuzuverdienen. Oder sie vermieten ihre Vorgärten als Zeltplätze. „Auch das ist Wertschöpfung in der Gemeinde“, sagt Kunkel.
Zu viel Müll anfangs ein Problem nach dem Festival
In den Anfangsjahren hätten die Menschen das Festival noch kritischer gesehen. Aber damals habe es auch noch ein Müllproblem gegeben. „Die Menschen ließen überall ihren Dreck liegen.“ Doch es habe eben auch keine Mülltonnen gegeben, sagt der Bürgermeister. „In der Gemeindevertretung gab es durchaus Stimmen gegen das Festival – doch wir Jüngeren haben gesagt: Wir müssen mit den Veranstaltern reden und das müssen die besser in den Griff bekommen – und das hat dann geklappt.“ Heute zweifelt in der Gemeinde niemand mehr am „Wacken Open Air".
Was ihn in die Kommunalpolitik gebracht hat? „Im Sportverein war ich irgendwann mal Jugendwart, später dann Kassenwart“, sagt Kunkel. Er zog in den Gemeinderat ein. Als der damalige Amtsinhaber zwei Jahre später an den Folgen einer schweren Krankheit starb, wurde er Bürgermeister. Weitermachen allerdings will Kunkel nicht mehr. Bei der Kommunalwahl 2023 tritt er nicht mehr an. „Es müssen auch mal jüngere Leute ran“, sagt der Bürgermeister, der im Sommer in Pension gehen wird. „Und irgendwie bröckelt auch die Lust dazu.“
Überbordende Bürokratie
Denn überbordende Vorschriften und Regularien machen es einem Ehrenamtler schwer, sich als Bürgermeister zu engagieren.„Mittlerweile müssen wir sogar die Temperaturen im Kühlschrank unserer Kita messen und dokumentieren“, stöhnt Kunkel. „Die ausufernde Bürokratie, das ist im Moment das Schlimmste – das schafft man oft nicht mehr.“ Um diese Probleme werden sich andere kümmern müssen. Was der Wackener Bürgermeister ihnen mit auf den Weg gibt? „Man muss mal zuhören können, und man muss gesunden Menschenverstand haben“, sagt Kunkel. „Aber man muss vor allem auch mal sagen: Ich mach das jetzt einfach.“ Dann nämlich gelingt es auch einer Gemeinde wie Wacken, Dinge zu bewegen – und Ort eines der weltgrößten Heavy-Metal-Ereignisse.