Corona Schützenvereine Hiddingsel
Aufgrund von Corona kann das Schützenfest in Hiddingsel in diesem Jahr so nicht stattfinden
© Tim Marquardt

Vereinswesen

Corona trifft Schützenvereine mitten ins Herz

Das Coronavirus hat die Schießanlagen leergefegt – und die Feste ausfallen lassen. Wie Deutschlands Schützenvereine die Krise erleben.

In Hiddingsel, einem Dorf im westlichen Münsterland, ist der lange erwartete große Tag endlich gekommen: Das Jubiläumsschützenfest zum 325-jährigen Bestehen. Das gesellige Treiben beginnt früh und endet spät. Das Schützenkönigspaar Mareike und Michael wird mit einem fröhlichen dreifachen „Horrido“ begrüßt, die Jugendblaskapelle bläst zur Attacke. Am Abend geht es dann auch noch mit DJ Markus auf die Tanzfläche. Oberst Andi und der Vorstandsvorsitzende haben die 1752 Einwohner und noch viel mehr Gäste eingeladen: „Und das ist ein Befehl!“.

Wegen Corona feiert der Schützenverein sein Fest diesmal virtuell

Irgendetwas stimmt da nicht, oder? Der Allgemeine Schützenverein Hiddingsel e.V. 1695 hat nicht etwa gegen die Regeln in der Corona-Krise verstoßen, er wollte nur nicht die Flinte ins Korn werfen: So feierten die einfallsreichen Münsterländer ihr buntes Fest virtuell. Sie drehten ein Video mit zahlreichen Akteuren, und weil die Aktion so gelungen war, stellten sie gleich zwei Folgen davon auf ihrer Homepage ins Netz.

„Es sind sehr viele kreative und schöne Szenen entstanden, die uns ein wenig daran erinnert haben, wie wertvoll und wichtig unser echtes Schützenfest ist“, schreibt der Vorsitzende Peter Emming gerührt an die Mitglieder. Das echte Jubiläumsfest muss warten, es ist aufs nächste Jahr verschoben.

Deutschlandweit sind bislang alle Schützenfeste abgesagt

Mit dieser Enttäuschung sind Hiddingsel und seine Schützen nicht allein. Von den sanften Hügeln des Bayerischen Waldes bis hoch an die rauen Küsten im Norden sind in diesem Jahr bislang alle Schützenfeste abgesagt, und auch die sportlichen Wettkämpfe ruhen. Der staatlich verordnete Schutz vor dem Corona-Virus hat das Vereinsleben komplett lahmgelegt und trifft auch die mehr als eine Million Mitglieder in den deutschen Schützenvereinen.

Schützenkönig
Da war die Welt noch in Ordnung: Schützenkönig Michael Armeloh feiert seinen Erfolg. Der Umzug und die Volksfeststimmung locken jedes Jahr viele Besucher an          Foto: Tim Marquardt

Schützenvereine sorgen sich um ihr Erbe

Die fehlenden Feste könnten neben finanziellen und emotionalen Verlusten weitere unerwünschte Nachwirkungen haben: Denn seit Jahrzehnten interessieren sich immer weniger für den Schützensport. Oft aber gelingt es den Vereinen, in der fröhlichen Festatmosphäre Nachwuchs für das traditionelle Schützenwesen zu werben. Beim Ingolstädter „Schützenverein Edelweiß Brunnenreuth“ bedauert die 1. Schützenmeisterin Heide Schnepf: „Wir haben vier Jungschützen gewinnen können, doch die können wir jetzt gar nicht reinlassen.“ An der Tür des Schützenheims, das direkt neben dem weiß-blauen Maibaum mitten im Dorf zu finden ist, hängt seit 16. März das Schild „Wichtige Information! Auf Grund der fortschreitenden Corona-Situation wird das Schützenheim bis auf weiteres geschlossen.“

Eine Scheibe wird geschossen, wenn ein Kind geboren wird

Drinnen herrscht Stille, und dazu eine Leere, die der Schützenmeisterin und leidenschaftlichen Sportschützin aufs Gemüt schlägt. Die elektronische Schießanlage mit den elf Schießständen für Luftgewehr und Luftpistole ist seit Wochen außer Betrieb. Auch das Licht über den acht Schießständen der historischen Seilzug-Schießanlage für Armbrust ein Stockwerk darüber muss ausgeschaltet bleiben. Die unzähligen historischen Scheiben an den Wänden erinnern daran, dass die Edelweißschützen sich ihrem Sport und der Tradition verpflichtet fühlen – und beides auch jahrzehntelang pflegen konnten. Der Brauch will es, dass eine Scheibe geschossen wird, wenn ein Kind geboren wird oder ein Mensch stirbt, hier hängen auch alte Kindstauf-Scheiben und bunte Hochzeits-Scheiben.

„Was für ein Jammer“ sagt Heide Schnepf, während ihr Blick bei unserem kleinen Rundgang auf den ebenfalls leeren Stammtisch in der gemütlichen Gaststube fällt. Die 59-Jährige ist die erste Frau, die an die Spitze des 1906 gegründeten Vereins gewählt wurde. Sie ist Mitglied, seit sie 13 Jahre alt war. „Als wir Kinder waren, da gab es nichts anderes im Dorf“, erzählt sie, „zweimal am Tag fuhr der Bus in die Stadt.“ Da ging man eben zu den Schützen oder zur Feuerwehr. „Jetzt fährt der Bus alle 20 Minuten und die Kinder können sich gar nicht entscheiden vor lauter Möglichkeiten.“ 188 Mitglieder zählen die Edelweißschützen, davon sind 66 Frauen. „Aktiv sind bei uns um die 45 Leute“, schätzt die Schützenmeisterin.

Vorstand hält in Corona-Krise Kontakt  über whatsapp

Der Vorstand hält über den Nachrichtenmessenger Whatsapp Kontakt. Nichts interessiert derzeit mehr als die Frage: Wann dürfen wir uns endlich wieder treffen und trainieren? „Die älteren Mitglieder rufe ich immer wieder mal an, vieles lässt sich auch bei einem Dorfratsch auf der Straße besprechen“, sagt die Schützenmeisterin.  Die Feste, das Böllerschießen und die sportlichen Wettkämpfe lassen sich nachholen, manches aber nicht. Etwa die Teilnahme an der Beerdigung einer Schützin, die mit 63 Jahren an zwei Herzinfarkten gestorben ist und bei der Corona nachgewiesen wurde: „Wir konnten ihr nicht die letzte Ehre erweisen“. Oder der Besuch im Altenheim bei einem treuen Mitglied zu seinem 90. Geburtstag.

Die Kommune unterstützt ihre Vereine in der Krise

Die Stadt Ingolstadt unterstützt die Vereine in der Corona-Krise - und so bekommen die Edelweißschützen zumindest 80 Prozent der entgangenen Einnahmen bei kulturellen Anlässen wie dem Bürgerschießen oder dem Ostereierschießen ersetzt. Zudem will der Freistaat Bayern in diesem Jahr die Vereinspauschale verdoppeln. Doch die Wehmut bleibt. „Unser Schützenkönig darf in diesem Jahr kein einziges Mal mit seiner Schützenkette ausrücken“, bedauert Heide Schnepf. Sie geht davon aus: „Er wird die Würde wenigstens beim Gauehrenabend im November tragen können.“

Heide Schnepf Schützenmeisterin
Heide Schnepf ist die erste Schützenmeisterin beim Ingolstädter „Schützenverein Edelweiß Brunnenreuth“ Foto:Mallwitz

Organisatoren hoffen, dass das Schützenfest doch noch stattfinden kann

Bei der ältesten Schützengilde Deutschlands, der Karlsschützengilde vor 1198 Aachen e. V., war für das zweite Augustwochenende das Stadtkönigschießen und das Schützenfest geplant. Vielleicht kann es doch noch in diesem Jahr stattfinden, wenn auch später?  Das hofften die Organisatoren zumindest lange. „Wir bewegen uns in unbekannten Zonen“, sagt Robert van Eisern, Präsident seit 2013.  Er zeigt sich zuversichtlich: „Wir Schützenbrüder und Schützenschwestern werden diese Krise bewältigen.“

In ländlichen Regionen sind die Vereine fester Bestandteil der Gesellschaft

Der Deutsche Schützenbund und die Landesverbände bieten Unterstützung an. „Wir informieren die Mitglieder ständig über die gesetzliche Situation und sind in Kontakt mit der Politik, auch wegen möglicher finanzieller Hilfen“, sagt der Sprecher des Bundesverbandes, Thilo von Hagen. Auf der Homepage hat der Schützenbund die in Aussicht gestellten Förderungen in den Bundesländern aufgelistet. Zudem informierte ein Experte bei einem Online-Seminar über die rechtlichen Möglichkeiten. Im März schon wurden alle nationalen Wettbewerbsentscheidungen bis August und September abgesagt. Trainiert wird aber weiter – mit Spitzenathleten, sie kommen per Video nach Hause.

„Die Schützen hat es hart getroffen“, sagt von Hagen. Und nicht nur sie: „Die Vereine sind gerade in ländlichen Regionen ein fester Bestandteil der sozialen Gesellschaft“, gibt er zu bedenken.

So traditionell das Schützenwesen auch ist: In den sozialen Medien sind Deutschlands Schützen längst unterwegs. Gerade in Corona-Zeiten erleichtern Facebook & Co die Kommunikation. Geteiltes Leid ist bekanntlich das halbe Leid. In den meisten Vereinen fallen erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs Schützenfest und Festumzug aus. Auch Jubiläen müssen verschoben werden.

#Wirkommenwieder: Schützenfeste finden wieder statt

Kreativität ist überall gefragt: So will der Wissener Schützenverein 2021 dann eben „150 Jahre +1“ feiern. Er organisiert jedes Jahr am 2. Juliwochenende das größte Schützenfest im nördlichen Rheinland-Pfalz. Auch in Hannover wird um Geduld gebeten: „Die Zeit läuft und die Vorfreude wächst“.  Die digitale Zeittafel auf der Schützenfest-Homepage zeigt die Tage, Minuten und Sekunden an, bis das vermutlich größte Schützenfest der Welt mit einer Tradition bis ins 15. Jahrhundert wieder stattfinden kann. Im nächsten Jahr, wenn alles gut geht. Ein Motto eint alle Vereine und Organisatoren: #Wirkommenwieder.