Proteste gegen Corona-Regeln
Die Proteste gegen die Corona-Regeln werden radikaler.
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Corona-Pandemie

Kommunen mobilisieren gegen Corona-Proteste

Immer mehr Kommunen stellen sich gegen radikalisierte Gegner der Corona-Politik. An einem Fenster des Bürgerservice im Rathaus in Zwickau macht die Stadt auf einem Plakat für alle klar: "Wir haben Frieden. Wir haben Freiheit. Wir haben keine Diktatur." In einem Offenen Brief positionieren sich Kommunalpolitiker mit vielen anderen gegen Hass und Hetze. Was Experten vom Bundesverband Mobile Beratung befürchten und was sie raten!

Wolfgang Wetzel ist Stadtrat in Zwickau und engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus und gegen antidemokratische Gesinnung. Auf Facebook hat er jetzt ein Foto von dem Plakat gepostet, das die Stadt am Fenster des Bürgerservice im Rathaus  angebracht hat. "Wir haben Frieden. Wir haben Freiheit. Wir haben keine Diktatur." Der Sozialarbeiter und ehemalige Bundestagsabgeordnete  weiß, dass er auf seinen Post wieder viele Reaktionen erhalten wird. Nicht alle sind freundlicher Natur. Im Gegenteil - in einer aufgeladenen Zeit, in der Politiker wie Ministerpräsident Michael Kretschmer Morddrohungen erhält, in der radikale Corona-Gegner mit brennenden Fackeln vor das Zuhause von Gesundheitsministerin Petra Köpping in Sachsen ziehen, und Impfgegner vor dem Wohnhaus von Mecklenburgs Ministerpräsidentin Manuela Schwesig protestieren.

Corona-Gegner werden militanter

"Ich bin dankbar dafür, dass die Zwickauer Oberbürgermeisterin Constance Arndt im Rathaus das Plakat aufhängen ließ und damit klar Stellung bezieht", sagt Wetzel im Gespräch mit KOMMUNAL. "Das ist keine Selbstverständlichkeit, dass Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sich bei demThema deutlich positionieren." Viele hätten immer noch Angst, damit zu spalten. Schnell gelte man auch als Nestbeschmutzer.  "Das demokratische Spektrum muss zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen", fordert Wetzel auch Solidarität mit mutigen Kommunalpolitikern ein. Der Stadtrat, der beruflich als Caritas-Sozialarbeiter tätig ist, warnt davor, die Gefahren für die Demokratie zu unterschätzen. "Ähnlich wie bei Pegida wollte man zuerst vieles nicht wahrhaben, das fällt uns nun auf die Füße", sagt er.

Bundesverband Mobile Beratung

Antidemokratisch eingestellte Gruppen zeigen sich immer militanter, konstatiert der Bundesverband Mobile Beratung (BMB). Der militante Kreis habe seine Angriffsflächen erweitert: Schulen, Rathäuser, Landtage und Impfzentren erfahren teils „flashmobartige“, teils gefährdende Übergriffe. Gleichzeitig zeigten die Gegenproteste der engagierten demokratischen Zivilgesellschaft Ermüdungserscheinungen. Denn viele Engagierte halten sich an die Corona-Regeln, was die Organisation von großen Zusammenkünften erschwert, so die Experten. Sie warnen: "Wir dürfen die entstandene Bewegung nicht unterschätzen und sollten ihre breite Anknüpfungsfähigkeit thematisieren." Die Stärke der verschwörungsideologischen Sammelbewegung liege in ihrer breiten Verankerung bis in die bürgerlichen Milieus hinein. "In Deutschland sucht sie zunehmend bewusst die Nähe von Reichsbürgern und der organisierten extremen Rechte. Im Osten ist diese Strategie offensichtlicher."

Screenshot Facebook

Der Bundesverband Mobile Beratung hat eine Analyse zu den Corona-Auswirkungen erstellt und die Arbeitshilfe "Bedroht werden gehört nicht zum Mandat" veröffentlicht. "Wir sollten zuhören, hinsehen und marginalisierte Stimmen (ver)stärken", lautet der Appell der Experten, die auch Kommunen im Kampf gegen Rechtsextremismus beraten. Sie fordern: Chatformen, in denen zu Bedrohungsaktionen aufgerufen werden, sollten intensiver beobachet werden. "Von der Protestbewegung bedrohte Menschen und Organisationen, darunter Journalisten, Mandatsträger und Engagierte und Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge und des Gesundheitsschutzes brauchen Schutz und Solidarität." Das Gleiche gelte für die von Antisemitimus betroffene Juden und ihre Einrichtungen. "Wir müssen rote Linien ziehen: Die rechtsoffene Protestbewegung ist mit ihrer nun vorliegenden Militanz eine Bedrohung des demokratischen Zusammenlebens. Sie negiert wissenschaftliche Erkenntnisse, bedient antisemitische Verschwörungsmythen und geht aggressiv gegen Vertreter ihr missliebigen Meinungen vor", heißt es in einer Mitteilung des Bundesverbandes. 

Experten gegen öffentlichen Dialog auf Augenhöhe

Die Experten warnen: "Ein öffentlicher Dialog auf Augenhöhe mit Akteuren aus dieser Szene stärkt vor allem die lauten und wahrnehmbaren extrem rechten Meinungsführer und schwächt eine kritische demokratische Debatte über die Angemessenheit und Rechtzeitigkeit staatlicher Maßnahmen."  Sie machen aber auch deutlich: Demokratie lebt vom kritischen Dialog. Das widersprüchliche Handeln der Politik in der Pandemiebekämpfung könne und sollte ebenso kritisch hinterfragt werden wie die rechtsoffenen Protestbewegungen des öffentlichen Widerspruchs auf Straßen, Plätzen und in sozialen Netzwerken.

Der von ihnen aufgezeigte Weg aus der Gefahr: "Wir müssen uns besser vernetzen. Zivilgesellschaftlicher Gegenprotest braucht belastbare Netzwerke und kreative Ausdrucksformen."  Belastbare Kooperationsstrukturen wie mit den Mobilen Beratungsteams, anderen lokalen Initiativen und Kommunalpolitiker seien notwendig, um sich gegen demokratiefeindliche Protestformen zu positionieren.

Die Prognose der Experten klingt besorgniserregend:  Es sei zu befürchten, dass sich der militante Kern der Protestbewegung aufgrund der im Winterhalbjahr 2021/22 weitergehenden Einschränkungen und der Debatte um die Impfpflicht noch mehr radikalisiert.

Schulen mit Corona-Leugnern alleingelassen

Der Widerstand formiere sich auch aus der Mitte heraus und überrasche im direkten Umfeld. "Die hohe Nachfrage bei den Mobilen Beratungsteams führt zu der Einschätzung, dass seitens staatlicher Stellen noch keine ausreichende Infrastruktur für die Hilfe Direkt Betroffenen besteht", stellen die Experten fest. So fühlten sich auch viele Schulen im Umgang mit coronaleugnenden Elern und verschwörungserzählenden Lehrkräften allein gelassen.  Neben der Zivilgesellschaft seien zunehmend Politik und Verwaltung durch die einschneidenden Corona-Maßnahmen der Bedrohung von rechts ausgesetzt. "Auch hier fehlt es an konsequentem Durchgreifen durch Unterbindung der Proteststrukturen", kritisieren die Experten. In Simmertal (Rheinland-Pfalz) trat eine Bürgermeisterin wegen fehlender Unterstützung für die von ihr organisierten Gegenproteste zurück. In Sachsen fehlte es trotz immenser Bedrohungslage an Polizeischutz für die Gesundheitsministerin, so die Kritik.

Gegenkampagnen von Kommunen

Die Teams der Mobilen Beratung berichten aber auch über gute Beispiele. Etwa über die breit angelegte Plakatkampagne der Mobilisierungs- und Informationsplattform "Berlin gegen Nazis" und einer eigenen App. Es gebe anhaltend große Nachfrage nach Info- und Bildungsveranstaltungen zum Thema Umgang mit Verschwörungserzählungen, heben die Experten gegen Rechtsextremismus hervor.

Städte- und Gemeindebund fordert klare Positionierung

„Der Rechtsstaat muss klare Kante zeigen. Politik und Zivilgesellschaft müssen deutlich machen – durch Resolutionen, Unterschriftenaktionen, aber auch durch Beschlüsse in den Stadt- und Gemeinderäten, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Corona-Protestaktionen mit Fackeln und Grabkerzen entschieden ablehnt", fordert auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.  Denn Proteste dieser Art seien erkennbar darauf ausgelegt sind, Angst zu schüren. "Die Gesellschaft muss öffentlichkeitswirksam Position beziehen und in alle Richtungen deutlich machen, dass sie bundesweit hinter den betroffenen Kommunen und Kommunalpolitikern steht", sagte Landsberg zu KOMMUNAL.

Umgekehrt stellen sich Kommunalpolitiker vor Ärzte, die nach Impfaktionen von militanten Impfgegnern bedroht werden. Walter Kiß, der Bürgermeister von Kreuztal (Nordrhein-Westfalen),  verurteilt solche Bedrohungen aufs Schärfste.  Auch vor der Tür des Rathauses war ein Grablicht mit der Aufschrift "Impfopfer" entdeckt worden. Sein Statement finden Sie hier. Der Rat in Hilchenbach hat einstimmig einer Resolution  gegen Hass und Hetze von extremistischen Impfgegnern zugestimmt und sich mit den impfenden Ärzten  solidarisch erklärt. 

Offener Brief gegen "Corona-Spaziergänge"

In einem offenen Brief haben Vertreter aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft zusammen mit Kommunalpolitikern in Sachsen einen Aufruf zur Solidarität gestartet. Darin heißt es: "Mit Unverständnis, Sorge und immer größerem Entsetzen beobachten wir die montäglichen Corona-Spaziergänge durch Zwickau und viele weitere Städte. Seit Monaten befinden wir uns in einer Pandemie und seit Kurzem spitzt sich die Situation zu wie nie zuvor. Die Krankenhäuser arbeiten am Limit und die Belastung der Pflegekräfte ist an einer Grenze, die für die gesamte Gesellschaft bedrohlich und anteilig bereits überschritten ist. Ausgerechnet in dieser Zeit gehen einige der Zwickauer Mitbürgerinnen und Mitbürger gemeinsam mit Rechtsextremen auf die Straße und tragen damit erst recht zur Verbreitung des Virus bei."  Ihr eindringlicher Appell: "Lasst Zwickau nicht zum Abenteuerspielplatz der Rechtsextremen und Coronaleugnenden werden!"

Reichsbürger und Rechtsextreme demonstrieren mit

Unter dem Deckmantel, gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren, versammeln sich Menschen mit extremistischen Weltanschauungen. "Neben Anhängern von Verschwörungstheorien, Reichsbürgern und Rechtsorganisierten ist der Anteil derer, die eine differenzierte Meinung gegen bestehende Regelungen haben, gering", schreiben die Unterzeichner des offenen Briefes. Die sogenannten Spaziergänger werden darin aufgefordert, ein weiteres Befeuern zu unterlassen. "Von der Politik erwarten wir, diese illegalen Demonstrationen nicht länger zu dulden. Es gelten Regeln und die gelten für alle. Wenn eine Versammlung momentan nur an einem Ort und nur für zehn Personen erlaubt ist, dann gilt das für alle..."

Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die Zwickauer Oberbürgermeisterin Constance Arndt, der ehemalige Oberbürgermeister Dietmar Vettermann, Landes- und Bundespolitiker, Vertreter von Hochschulen, Kunst und der Wirtschaft.

Hier finden Sie den Offenen Brief und hier geht es zum Bundesverband Mobile Beratung.