Landschaft Bayerischer Wald
Der Bayerische Wald: Dort ist Freyung-Grafenau derzeit Corona-Hotspot.
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Überraschendes Ergebnis einer Studie

Corona-Gefahr auf dem Land so hoch wie in der Stadt?

Das wuselige Berlin-Mitte oder Neukölln ein Corona-Schwerpunkt - wen wundert das nicht? Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung räumt jetzt aber mit dem Klischee auf, dass Corona auf dem Land bei weitem nicht so häufig ist.

Immer wieder werden zwar ländliche Regionen wie das Berchtesgadener Land oder jetzt der Landkreis Freyung-Grafenau im äußersten Osten Bayerns zum Corona-Hotspot erklärt. Doch lässt sich eine massive Ausbreitung Corona-Virus eher in der Stadt vermuten  Daher überrascht das Ergebnis der jetzt vorgelegten Untersuchung des Bundesinstituts mit Sitz in Bonn: Die Infektionszahlen in der Stadt und auf dem Land unterscheiden sich danach nicht besonders.

Corona regional: Land und Stadt ähnlich betroffen

Die interaktive Anwendung "Corona regional"  zeigt, so das Institut, wie sich COVID-19 in Deutschland regional ausgebreitet hat.  "Zwar waren und sind einige dünner besiedelte Regionen weniger betroffen als dicht besiedelte Gebiete. Ein systematischer Unterschied zwischen den einwohnerbezogenen COVID-19-Fallzahlen in Stadt und Land kann jedoch nicht festgestellt werden", lautet das Fazit der Experten. Und: "Unterschiede bei regionalen Erkrankungs- und Todeszahlen lassen sich nicht nur auf lokale Hotspots mit vielen Infizierten zurückführen. Auch andere Faktoren wie etwa die Altersstruktur der Bevölkerung in der Region spielten eine Rolle.

Nach Auswertung der Ergebnisse kommt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zu folgendem Schluss: Diese räumlichen Gegebenheiten begünstigen die Ausbreitung von SARS-CoV-2. KOMMUNAL gibt die Thesen verkürzt wieder:

  • Lokale Hotspots erhöhen die Infektionszahlen in kreisfreien Städten und Landkreisen: Vor allem für die erste Welle der Pandemie lässt sich nachvollziehen, wie Massenansteckungen bei einzelnen Ereignissen die Zahl der Infektionen in einigen kreisfreien Städten und Landkreisen in die Höhe trieben.
  • Flächendeckende Ausbreitung im Herbst: Im September und Oktober kam es deutschlandweit zu einem fast flächendeckenden Anstieg der Neuinfektionen. Die Fallzahlen erhöhten sich lediglich in wenigen sehr dünn besiedelten Regionen in Nord- und Ostdeutschland. Die 7-Tage-Inzidenz stieg bis Anfang November weiter, hat sich zuletzt aber etwas verlangsamt.
  • Keine grundsätzlichen Stadt-Land-Unterschiede: Während der ersten Phase der Corona-Pandemie von Februar bis Sommer 2020 waren nur relativ geringe Unterschiede in der Verbreitung des Virus zwischen städtischen und ländlichen Regionen festzustellen. So lag Februar bis Mitte August 2020 die durchschnittliche Zahl der täglich registrierten Neuinfektionen je 100.000 Einwohner im städtischen Raum bei 1,5 und damit nur leicht höher als im ländlichen Raum mit 1,1.
  • Im Zeitraum August/September lag das Verhältnis bei 2,1 zu 1,0. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land verringerten sich zuletzt etwas – wenngleich die Infektionszahlen je 100.000 Einwohner deutlich höher liegen als noch im Frühherbst:
  • Im Oktober registrierten die Gesundheitsämter durchschnittlich 10 Neuinfektionen pro Tag und 100.000 Einwohner im städtischen Raum, im ländlichen Raum waren es 7.
  • Infektions- und Todeszahlen unterscheiden sich in Altersgruppen und zwischen den Geschlechtern: Die Altersstruktur der Bevölkerung in den Regionen hat einen stärkeren Einfluss auf die lokale Ausbreitung von Sars-CoV-2 als Stadt-Land-Unterschiede.
  • Die regionale Streuung der COVID-19-Fallzahlen wird durch die Altersstruktur dennoch nur zu 20 bis 40 Prozent  erklärt. Je jünger die Bevölkerung im Durchschnitt ist, desto höher ist tendenziell die Zahl der Neuinfektionen.
  • Das Verhältnis der COVID-19-Fallzahlen zu den Altersgruppen gibt Aufschluss darüber, ob und welche Bevölkerungsgruppen besonders betroffen sind. Zu Beginn der Pandemie erkrankten die älteren Bevölkerungsgruppen häufiger, später jedoch deutlich seltener. Im Sommer stiegen dann auch die Infektionen bei den Kindern und Jugendlichen, im Frühherbst stiegen dagegen in stärkerem Maße die Covid-19-Fallzahlen bei Menschen mittleren Alters. Über diesen Zusammenhang sind zumindest zum Teil die regionalen Unterschiede zu erklären.

Fazit: Das begünstigt die Ausbreitung von Corona

Die Ausbreitung von COVID-19 lässt sich nicht explizit auf bestimmte räumliche Muster zurückführen. Vielmehr spielen spezifische lokale Bedingungen oder einzelne Ereignisse eine entscheidende Rolle. Auch Lebensstile, Arbeitsweisen und regionale Wirkungsketten sind Faktoren, welche die Ausbreitung von Sars-CoV-2 beeinflussen. Großstädte waren nur kurzfristig nach den Sommerferien Schwerpunkte des Infektionsgeschehens, bevor es zu einer nahezu flächendeckenden Ausbreitung kam.

Lässt sich Corona auf dem Land schneller eindämmen?

Einen Unterschied gibt es allerdings doch, sagt der Statistiker Prof. Helmut Küchenhoff von der LMU München, der die Infektionszahlen laufend wissenschaftlich auswertet, dem Bayerischen Rundfunk. Wenn in der Stadt die Zahlen ansteigen, dann sei das auf zahlreiche Infektionsherde zurückzuführen. Auf dem Land dagegen könne das durch ein, zwei oder drei  Infektionsherde passieren, die möglicherweise schneller einzudämmen seien.

Mehr Intensivbetten stehen bundesweit bereit

Das Institut betrachtet auch die Frage, welche Möglichkeiten die Krankenhaus-Infrastruktur hat, mit der Epidemie umzugehen und sich anzupassen? Zwar gibt es regionale Unterschiede in der Ausstattung mit Krankenhausbetten und mit Intensivbetten. Die Zahl der Intensivbetten und lebensnotwendige (Beatmungs)-Geräte wurden jedoch flächendeckend rasch aufgestockt. Die Anwendung im Internet zeigt auch die Zahl der jeweiligen Intensivbetten.

Grundlage für die interaktive Anwendung

Für die interaktive Anwendung nutzt das BBSR  die aggregierten Daten der gemäß Infektionsschutzgesetz von den Gesundheitsämtern an das Robert-Koch-Institut übermittelten Covid-19-Fälle. Es werden nur Fälle veröffentlicht, bei denen eine labordiagnostische Bestätigung unabhängig vom klinischen Bild vorliegt. Plötzliche Anstiege in den Fallzahlen können daher auch auf eine Ausweitung der Testkapazitäten zurückgeführt werden, so das Institut zur Erläuterung.

Mit der Anwendung lassen sich räumliche Unterschiede, etwa zwischen Stadt und Land, veranschaulichen. Auch können interessierte Nutzer regionale Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung nachvollziehen und in ihrer Wirkung vergleichen. Die Anwendung ergänzt raumbezogene Analysen des BBSR. Diese zeigen, wie sich die Lebensverhältnisse regional unterscheiden.

Das Institut weist auch auf Folgendes hin: Wo das Infektionsgeschehen besonders hoch war oder ist, zeigt die Karte der kumulierten Fälle. Sie werden auch dann noch angezeigt als stark betroffene Kreise, wenn das Infektionsgeschehen schon lange abgeklungen ist.

Als Beispiel wird  der Landkreis Tirschenreuth genannt, der über den gesamten Zeitraum bundesweit die höchsten einwohnerbezogenen Fallzahlen aufweist. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) befeuerten Rückkehrer aus Wintersportgebieten, eine traditionelle Bierwirtschaft und ein Starkbierfest die Ausbreitung im März. 90 Prozent der infizierten Todesopfer hatten der Studie zufolge Vorerkrankungen, die meisten waren über 80 Jahre alt. Der Landkreis weist seit Wochen keine Neuinfektionen mehr auf.

Ein anderes Beispiel ist der Landkreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen. Hier fand das stärkste Infektionsgeschehen in der zweiten Junihälfte statt. In der Großschlachterei Tönnis hatten sich viele Arbeitskräfte infiziert.

Die Entwicklung solcher Hot Spots (täglich gemeldete COVID19-Fälle im Zeitverlauf) werde  grafisch durch "Fieberkurven" dargestellt. Darüber sei zu erkennen, dass die Infektionszahlen rasch zurückgehen, wenn lokale Maßnahmen zur Eindämmung getroffen werden.