Büsingen Politisch Deutschland, wirtschaftlich Schweiz -

Büsingen: Deutsche Insel in der Schweiz

Politisch gehören sie nach Deutschland – wirtschaftlich jedoch in die Schweiz. Über Besonderheiten und Absurditäten einer deutschen Enklave am Hochrhein. Teil vier unserer Serie über kuriose Orte in Deutschland.

Das Leben in Büsingen ist teils kurios

Doch in Büsingen am Hochrhein ist manches anders als in anderen deutschen Dörfern. Was damit zusammenhängt, dass das Dorf von allen Seiten von der Schweizer Eidgenossenschaft umgeben ist: Büsingen ist eine deutsche Exklave, ein Dorf, das als Enklave völlig in der Schweiz liegt. Weil die Schaffhäuser 1693 einen österreichischen Landvogt entführten, verloren sie die Pfandherrschaft über die so genannten Reiatdörfer, zu denen Büsingen gehört.

Büsingens Bürgermeister Markus Möll

Daran änderte sich auch 1945 nichts, als der Versuch französischer Truppen, Büsingen mit einem Panzer zu besetzen, von einem Schweizer Grenzposten gestoppt wurde. Erst nach langen Verhandlungen konnten „sieben Mann mit einem Kübelwagen“ über Schweizer Territorium nach Büsingen fahren, berichtet der heutige Bürgermeister von Büsingen, Markus Möll. Seit 1967 regelt ein Staatsvertrag das Verhältnis seines Dorfs zur Schweiz: „Politisch sind wir ein Teil von Deutschland, wirtschaftlich gehören wir zum Wirtschaftsraum der Schweiz.“ Was bedeutet, dass Büsingen neben der Hochseeinsel Helgoland der einzige Teil Deutschlands ist, der nicht zum Zollgebiet der Europäischen Union gehört. Und der Bürgermeister von Büsingen zuweilen die Rolle eines Diplomaten einnehmen muss.

EU-Verordnungen werden mit Büsingen gesondert verhandelt

„Wenn in Brüssel eine Verordnung erlassen wird, werde ich angerufen, und gefragt, wie es denn mit Büsingen aussieht“, sagt Möll. Zuletzt sei das etwa bei der Trinkwasserverordnung der Fall gewesen. Sie schreibt Hauseigentümern vor, spezielle Entnahmehähne zur Kontrolle eines eventuellen Legionellenbefalls vorzuhalten. „Aber Trinkwasser ist ein Lebensmittel“, sagt Möll. „Und alles, was mit Lebensmitteln zu tun hat, regeln wir hier in Büsingen nach Schweizer Recht: Also gilt die Verordnung bei uns nicht.“
Doch für den Bürgermeister bedeutet jede neue Verordnung extra Arbeit: Denn immer muss überprüft werden, was in der 1350 Einwohner zählenden Gemeinde im Landkreis Konstanz eigentlich gilt. Ausnahmen gibt es für die Kommune selbst: Wenn die Gemeinde etwa für Bauarbeiten an ihrem Rathaus, an einem Kindergarten oder an einer Gemeindestraße Material in Deutschland einkauft, kann das zollfrei nach Büsingen eingeführt werden. Auch das regelt der Staatsvertrag.

Das Steuerrecht führt zum Wegzug junger Menschen

Im täglichen Leben haben die Büsinger oft die Wahl: Ihre Gemeinde hat zwei Postleitzahlen, eine Schweizer und eine Deutsche. „Wenn ich einen Brief nach Bern und einen Brief nach Berlin aufgeben will, kaufe ich bei derselben Postangestellten je eine Deutsche und eine Schweizer Briefmarke“, sagt Möll. Anschließend landen die Briefe in zwei Postsäcken – den einen holt am Abend die deutsche, den anderen die Schweizer Post in Büsingen ab. Um in beiden Ländern konkurrenzfähig zu sein, haben viele Gewerbetreibende zwei Telefonanschlüsse, einen mit deutscher und einen mit Schweizer Vorwahl.

Büsingens deutsch-schweizerische Bushaltestelle

In den letzten Jahren freilich leiden die Büsinger verstärkt unter ihrer Sonderrolle. Denn ihre Steuern bezahlen die Einwohner der Gemeinde in Deutschland. Ihre Einkünfte aber haben sie oft in der Schweiz. Und auch die Lebenshaltungskosten sind in Büsingen so hoch wie in der Schweiz. „Wer in der Schweiz wohnt – zum Beispiel in Schaffhausen - erhält hohe Gehälter und hat hohe Lebenshaltungskosten, aber eine niedrige Einkommenssteuer“, sagt Möll. „Wer in Büsingen wohnt, erhält zwar das hohe Gehalt der Schweiz, hat aber dieselben Lebenshaltungskosten wie in Schaffhausen und muss die deutlich höheren deutschen Steuersätze zahlen.“ Viele jüngere Einwohner hätten deswegen in den letzten Jahren den Ort verlassen, sagt Möll. Umgekehrt seien viele Rentner zugezogen, weil die Pensionen in Deutschland weniger stark besteuert werden, als in der Schweiz. „Wir hoffen auf eine Quellenbesteuerung für Büsinger – wer in Büsingen lebt und in der Schweiz arbeitet, sollte steuerlich den Schweizern gleichgestellt werden“, sagt Möll. Doch ob dieser Wunsch des Büsinger Bürgermeisters im fernen Berlin je gehört wird, steht derzeit noch völlig in den Sternen.

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