Bürgermeisterin schafft Imagewandel von der Neonazi-Stadt zur Friedensstadt
Bürgermeisterin schafft Imagewandel von der Neonazi-Stadt zur Friedensstadt
© Imago/lausitznews

Bürgermeisterin: Orientierung im Kampf gegen Rechts

Eine sächsische Kleinstadt hat ihr Image von der „Neonazi-Stadt“ zur Friedensstadt gewandelt. Trotz Aufmärschen von Rechtsextremisten. Der Imagawandel hat auch viel mit der Bürgermeisterin der Gemeinde zu tun. Ein Portrait über Marion Prange, Bürgermeisterin von Ostritz.

Wer ins sächsische Ostritz mit der Bahn fährt, kommt in Polen an. Weil der Bahnhof der Stadt östlich der Neiße liegt, muss der Reisende in Krzewina Zgorlecka aussteigen, und vielleicht 50 Meter zu einer kleinen Brücke über den Fluß gehen. Und sobald er dann ein weißes Metalltor passiert hat, steht er in Ostritz. Vor dem ehemaligen Hotel Neißeblick, doch dazu später mehr. Bürgermeisterin Marion Prange begrüßt den Besucher im Obergeschoss des Rathauses. Seit 2008 arbeitet die parteilose, ehrenamtliche Kommunalpolitikerin in dem repräsentativen Bau am Marktplatz. Ihr Vorgänger war nicht mehr zur Wahl angetreten. Und die CDU und die „Unabhängigen Bürger von Ostritz und Leuba“ fragten Marion Prange an, ob sie nicht antreten wolle. Denn schon damals war Marion Prange in Ostritz bekannt: Aufgewachsen in der Stadt, betrieb sie seit 1989 das Reisebüro am Marktplatz, beriet die Ostritzer zu ihren Ferienplänen. „Ich war über 20 Jahre selbständig“, sagt Prange. Ursprünglich dachte sie, das Reisebüro drei Tage pro Woche weiterbetreiben zu können. „Aber Bürgermeisterin zu sein ist ein Fulltime-Job“, sagt Prange. „Auch wenn man es ehrenamtlich macht.“ 

Ostritz Bürgermeisterin Marion Prange
Ostritz Bürgermeisterin Marion Prange 

Die Bürgermeisterin musste vor allem ein Problem lösen...

Denn Ostritz war in den letzten Jahren nicht immer nur mit Glück gesegnet. 2010 trat die Neiße über die Ufer, überflutete die Stadt. 2013 kam das nächste Hochwasser. Die Bürgermeisterin bewährte sich als Krisenmanagerin, wirkte im Krisenstab mit, kümmerte sich um Soforthilfen und Wiederaufbau. Und in den letzten beiden Jahren war es dann das Hotel Neißeblick, dass Marion Prange und die Stadt herausforderte: Das Gebäude befindet sich im Besitz eines Neonazis aus Hessen, der dort schon früher Rechtsrockkonzerte und andere Veranstaltungen durchführte. „Im November 2017 bekam ich eine Anmeldung von der Versammlungsbehörde: Ein Schild- und Schwertfestival, abgekürzt SS, sollte am 20. April, Hitlers Geburtstag, im Hotel Neißeblick stattfinden“, erinnert sich Prange. Eine große Szeneveranstaltung der Rechtsextremisten. Prange kümmerte sich sofort darum, dass es eine formale Veranstaltungsanmeldung für den Marktplatz und andere große Plätze gab. Und auch eine Reihe von Bürgern der Stadt dachten darüber nach, wie man den Rechten begegnen könne. „Wir haben in Ostritz einen Vereinsstammtisch, wo sich die Vereine der Stadt bei ihren Terminplanungen absprechen und zum Beispiel über Satzungsfragen austauschen“, sagt Prange. Dort bekam sie Unterstützung.

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„Aber zu Anfang waren auch große Vorbehalte und Ängste da“, erinnert sich Prange. „Die Bürger fürchteten, dass auch Linksextreme in die Stadt kommen und es zur Konfrontation kommen würde – aber so eine Situation wie 2017 hatten wir ja auch noch nie.“ Doch nach und nach entstand das Konzept für ein Spielefest, das spätere Friedensfest auf dem Marktplatz. Das Internationale Bildungszentrum am Kloster Marienthal half bei der Organisation ebenso wie das Dresdner B3-Institut, das sich in Sachsen mit Demokratieprojekten beschäftigt. Es gab Informationsveranstaltungen mit Polizei und Verfassungsschutz, und ein ausgereiftes Sicherheitskonzept. „Wir haben viel Arbeit in Aufklärung gesteckt – denn wir wussten, dass da richtige Hardcore-Neonazis kommen würden“, sagt Prange. Einmal hatte ein NPD-Parteitag in Ostritz stattgefunden, aber das war kein Vergleich zu den 750 angemeldeten und 1250 angereisten Neonazis. Doch das Friedensfest wurde ein großer Erfolg: 3.000 Menschen zeigten in Ostritz auf friedliche Art und Weise Flagge gegen rechts. Genau wie ein großes Friedensfest im November, als wieder eine Veranstaltung im Hotel Neißeblick stattfinden sollte. Gerhard Schöne gab ein Konzert und auf dem Marktplatz gab es einen großen Gottesdienst. „Es war sehr emotional“, erinnert sich Prange. „Man steht dann als Bürgermeisterin schon sehr unter Anspannung, denn man fühlt sich ja verantwortlich.“

Ostritz ist überall - was tun im Kampf gegen Neonazis? 

 

Was Marion Prange anderen Bürgermeistern rät, bei denen rechtsradikale Veranstaltungen im Ort geplant sind? „Als allererstes muss sich der Bürgermeister entscheiden: Was möchte ich denn machen?“, sagt Prange. Für sie persönlich habe immer festgestanden, dass sie es nicht unkommentiert im Raum stehen lassen könne, wenn 1.000 grölende Neonazis nach Ostritz einfallen. „Wir stehen für andere Werte und möchten nicht, dass hier faschistische Parolen gebrüllt werden“, sagt Prange. „Man muss dazu als allererstes einen persönlichen Standpunkt vertreten.“ Dann gehe es darum, zu gucken, was für Leute da kommen, und welche Behörden man zu Hilfe rufen kann. „Und dann müssen sofort die Bürger informiert werden, mit an den Tisch geholt werden – und mit den Bürgern muss man entscheiden, was man macht.“ Es gehe um Information, Kommunikation und darum, dass die Sorgen und Ängste der Menschen ernst genommen werden. „Und die Bürgermeisterin muss Orientierung geben“, sagt Prange. „Ich habe immer gesagt, dass ich auch Angst hatte, und genauso angespannt bin wie die Bürger.“ Es gehe darum, Vorbild zu sein, und die Menschen zu begleiten. „Eine gute Bürgermeisterin muss die bleiben, die sie immer war“, sagt Prange. „Authentisch, aufrichtig, visionär eingestellt und optimistisch.“ Und sie muss eine Netzwerkerin sein.

Heute ist es ihr gelungen, dass ihre Stadt weniger für die Neonazi-Veranstaltungen, als vielmehr für ihre Friedensfeste bekannt geworden ist. Doch noch ist das Thema nicht ausgestanden: Denn auch 2019 soll es am 20. April wieder eine Neonazi-Veranstaltung in der sächsischen Kleinstadt geben. Und Marion Prange und ihre Mitstreiter sind bereits wieder damit beschäftigt, ein neues Friedensfest vorzubereiten. „Aber wird denken mittlerweile auch darüber nach, ein Friedensfest stattfinden zu lassen, wenn die Nazis nicht mehr nach Ostritz kommen“, sagt Prange. „Denn uns geht es mittlerweile nicht mehr um eine Gegenveranstaltung, sondern um ein Fest für Demokratie.“

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