Das ist der Teich, in dem die Tragödie geschah

Kommunen ziehen Konsequenzen

Reaktionen auf Urteil wegen drei im Teich ertrunkener Kinder

Drei Kinder ertranken in einem Teich in einer kleinen Gemeinde in Nordhessen. Ein Amtsgericht hat deshalb Ende Februar den Bürgermeister der Kommune wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Deutschlandweit hat das Urteil für Entsetzen gesorgt - viele Bürgermeister überdenken jetzt die Sicherheitsbestimmungen in ihrer Gemeinde.

Von einem Skandal-Urteil spricht der Anwalt des betroffenen Bürgermeisters. Das Gelände rund um den Teich wurde seit vielen Jahren als Grillstelle genutzt. Ein Schild wies darauf hin, dass "Eltern für Ihre Kinder haften". Das Gericht jedoch war der Ansicht, der Teich hätte eingezäunt werden müssen. Vor allem ein Satz der zuständigen Staatsanwältin vom letzten Prozesstag (im Plädoyer) hat in ganz Deutschland bei Bürgermeistern heftigen Protest ausgelöst. Wörtlich sagte sie: "Ein Bürgermeister trägt die Verantwortung für seine Bürger". 

Vor allem in der Region selbst hatten sich nahezu alle Bürgermeister geschlossen hinter Klemens Olbrich gestellt. Denn praktisch überall in der Region, und nicht nur dort, haben die Kommunen in ihrem Eigentum Gewässer, Dorfteiche, Springbrunnen und ähnliches. Der Bürgermeister von Eschwege, Heppe, etwa spricht von einem "absurden Urteil". Er werde sich nun die Begründung schriftlich zukommen lassen. Bei ihm gebe es ganz ähnliche Gewässer. "Wenn Bürgermeister für ein bestehendes Lebensrisiko ab dem ersten Tag ihrer Amtszeit verantwortlich gemacht werden, kann es passieren, dass sich weder Ehren- noch Hauptamtliche finden lassen, die Verantwortung übernehmen wollen", sagt er. 

Handeln will der Bürgermeister aus Meinhard, ein ähnlich großen Kommune im Nachbarkreis von Neukirchen, dem Werra-Meißner Kreis. "Mir ist bewusst, dass ich als Bürgermeister Verantwortung habe, wenn auf dem Gebiet meiner Gemeinde etwas derartiges passiert", sagt er und kündigte direkt nach dem Urteil weitere Maßnahmen zur Sicherung der Teiche in seinem Ortsgebiet an. Konkret plane man eine bessere Sicherung des Ufers. 

Und auch in der Nachbargemeinde Ringgau sollen schon bald die Bagger anrücken, um zwei Gewässer mit Zäunen zu sichern. "Sobald das Urteil rechtskräftig ist, werden wir Zäune um die Teiche bauen", sagt Bürgermeister Mario Hartmann. Gleichzeitig kritisiert er, hier werde Verantwortung im großen Stil auf die Bürgermeister abgewälzt. 

Das Urteil aus Hessen hat selbst in Mecklenburg-Vorpommern Konsequenzen 

"Das Urteil ist ein Alptraum" sagt auch der Bürgermeister von Eixen im Landkreis Vorpommern-Rügen, Andre Bonitz. Gegenüber KOMMUNAL bestätigt er aus einem Bürgermeistertreffen im Norden, dass er auch für zahlreiche andere Bürgermeister spreche. Vor allem der Satz der Staatsanwältin, ein Bürgermeister trage Verantwortung für seine Bürger" habe für Aufruhr gesorgt. Das sei "ein Unding und ein falsches Signal". Noch hofft Bonitz darauf, dass das Urteil in der nächsten Instanz gekippt wird (Bürgermeister Olbricht und sein Anwalt haben das Urteil wie berichtet angefochten). Wenn das nicht passiert, müssten Kommunen daraus Konsequenzen ziehen. "Vom unbewachten Ostseestrand mit Strandaufgang, Parkplatz, Toilette bis zum Dorfteich mit Umfeld und Sitzplätzen - alles birgt Gefahr durch das benachbarte Wasser", so der Bürgermeister. Was das für seine Bürger bedeuten würde, erklärte er bereits in seiner örtlichen Ausgabe der Ostseezeitung: "Rückbau touristischer Infrastruktur und somit sinkende Attraktivität unserer Region". 

Das Teich-Urteil schwächt die Bürgermeister insgesamt  

Von einer gewissen Widersprüchlichkeit im Urteil ist beim Gemeindetag in Baden-Württemberg die Rede. Ihr Präsident Roger Kehle vergleicht die Auswirkungen des Urteils mit den Diskussionen nach dem Amoklauf von Winnenden. "Damals stand im Zentrum, die Sicherheit und das freie Zusammenleben zu gewichten". Im aktuellen Fall sei die Frage, ob es sinnvoll ist, ein Naherholungsgebiet unzugänglich zu machen, um mehr Sicherheit zu erreichen. "100 prozentige Sicherheit gibt es aber nicht", fügt er hinzu. Ob des Urteils sorge er sich um das Interesse am Beruf des Bürgermeisters. 

Auch der Städte- und Gemeindetag in Mecklenburg-Vorpommern, aufgrund besonders vieler Seen besonders betroffen, teilt die Sorge. "Wenn das Urteil nicht geändert wird hat bald keiner mehr Lust, Bürgermeister zu sein", so Rechtsdezernent Glaser. 

Zahlreiche Bürgermeister werden noch deutlicher. Torsten Kunkel, Bürgermeister der 9000 Einwohner Gemeinde Pfedelbach (Hohenlohekreis, Baden-Württemberg) sieht in dem Urteil gar ein Problem des Rechtssystems: "Sicher war das Ereignis schrecklich. Aber das bedeutet nicht, dass es automatisch einen Schuldigen geben muss", sagte er seiner örtlichen Zeitung. Man brauche sich nicht zu wundern, wenn sich immer weniger qualifizierte Bewerber für den Bürgermeisterberuf interessierten. 

Weitere Reaktionen auf das Teich-Urteil

Zahlreiche Bürgermeister haben uns in den vergangenen Tagen zu dem Urteil und den Hintergründen kontaktiert. So sagte Bürgermeister Philipp Saar (Kinzigtal im Schwarzwald) gegenüber KOMMUNAL: "Das Urteil ist ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die politische Verantwortung übernehmen oder übernehmen wollen und wird seine abschreckend Wirkung nicht verfehlen. Geholfen ist dadurch niemandem, denn am Ende geht es hier nicht um grobe Fahrlässigkeit, sondern um tragische Lebensrisiken, die sich niemals ganz ausschalten lassen."

Der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde Schönwald im Unterspreewald nahm es derweil mit Sarkasmus. "Unfassbar. Werden Nord- und Ostsee jetzt auch eingezäunt? Wer fragt da noch, warum immer mehr Menschen "alterantiv" wählen". 

Der stelvertretende Landrat von Dahme-Spreewald Carsten Saß wurde noch deutlicher in seinen Worten: "Zäunt auch sofort die deutsche Nord- und Ostsee ein bitte. Ich benötige freien Zugang zu meinem Urlaubsbiotop in Estland. Mit Schmerzen aber denke ich an den Spreewald". 

Darum wird es in der Berufung gehen - und warum es vor Ort Demonstrationen gibt 

Der betroffene Bürgermeister Klemens Olbrich hat am vergangenen Montag bereits Berufung eingelegt. Ansonsten hält er sich mit Stellungnahmen jedoch bewusst zurück. Auf der Homepage seiner Gemeinde greift er das Urteil bewusst nicht auf, will vor Ort seine Arbeit auch nach der Verurteilung (auf Bewährung) fortsetzen. Trotzdem lässt der Fall die Gemeinde natürlich nicht los. Am Samstag haben rund 150 Menschen in seinem Ort zur Unterstützung des Bürgermeisters demonstriert.  Zu der Demonstration hatte der Stadtverordnetenvorsteher von Niedenstein, Erich Sommer aufgerufen. Er betonte, es sei bei der Aktion nicht darum gegangen, das Gericht zu verunglimpfen oder anzugreifen - sondern den Bürgermeister moralisch zu unterstützen. Die Veranstaltung verlief ohne Zwischenfälle. 

Der Anwalt von Olbrich bleibt derweil für die Berufung optimistisch. „In der Berufungsverhandlung am Landgericht Marburg erwarten wir einen Freispruch", sagt Karl-Christian Schelzke. Er geht davon aus, dass das Urteil von Amtsrichterin Mareike Pöllmann wegen fahrlässiger Tötung in drei Fällen nicht Bestand haben wird. Schon im Frühsommer könnte der Fall neu aufgerollt werden, meint er. 

Schelzke kündigte an, dass man bei der Verhandlung vor dem Landgericht die Rolle der Eltern der Kinder im Zusammenhang mit einer möglichen Aufsichtspflichtverletzung noch mehr in den Fokus rücken werde: „Wir werden viel stärker in die Sachverhaltsaufklärung gehen.“