Rücktritt per Youtube-Video - der Landrat von Mittelsachsen tritt zurück. Grund: "Mandatsträger sind zu Freiwild geworden"
Rücktritt per Youtube-Video - der Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer tritt zurück. Grund: "Mandatsträger sind zu Freiwild geworden"
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"Macht keinen Sinn mehr"

"Als Mandatsträger zu Freiwild geworden": Landrat in Sachsen tritt zurück

Es gibt in Deutschland nur gut 20 von 294 Landräten, die keiner Partei angehören. In den Mitteldeutschen Ländern sind es nur 2, in Sachsen nur ein Einziger. Und der wirft nun das Handtuch. Bei Dirk Neubauer handelt es sich aber auch sonst nicht um einen Landrat von vielen, sondern einen mit ganz besonderem Werdegang. Immer wieder hatte KOMMUNAL ihn vor allem in seiner Zeit als Bürgermesiter von Augustusburg begleitet. Denn seine Methoden waren stets ungewöhnlich - sein Rücktritt ist es auch.

Als Landrat ist Dirk Neubauer erst seit zwei Jahren im Amt. Im Landkreis Mittelsachsen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Bürgermeister der Kleinstadt Augustusburg. Bekannt ist die 5000 Einwohner-Stadt den meisten durch das Schloss Augustusburg. In einem emotionalen Youtube Video hat Dirk Neubauer nun am Dienstag, den 23. Juli am späten Nachmittag seinen Rücktritt angekündigt. Das Video haben wir Ihnen in diesem Artikel im Original (22 Minuten) verlinkt.

Der Landrat lebte an einem geheimen Ort

Vorangegangen war dem Rücktritt zuvor ein Umzug des Landrats. Denn er hatte immer wieder Bedrohungen von Rechtsextremisten bekommen. Besonders die rechtsextremen "Freien Sachsen" hatten ihm immer wieder zugesetzt. Zu diesen Bedrohungen kamen seit Monaten weitere anonyme Beschimpfungen per Brief und teils auch persönlich von Menschen, die er "nie zuvor gesehen" habe, wie er nun in der emotionalen Stellungnahme berichtet. Wörtlich sagte er: „Man kann mich beschimpfen, aber nicht bedrohen und Lügen verbreiten. Man ist als Mandatsträger zum Freiwild geworden.“

Inzwischen sei auch sein engstes privates Umfeld bedroht, das könne er nicht länger hinnehmen. 

Wobei die Bedrohungen zwar ein Grund, nicht aber DER Grund für seinen Rücktritt sind. Wörtlich sagte er in der Youtube-Botschaft: „Ich würde jetzt gerne sagen – weil es die Begründung so schön einfach machen würde – ich gehe, weil ich persönlich bedroht bin. Aber so einfach ist es eben nicht.“

Grund für den Rücktritt waren aber nicht nur die Bedrohungen 

Ihm fehle insgesamt der Mut der Bürger. Wörtlich sagte er: „Ich gebe auf, weil zu viele den Mund halten. Wo ist diese Mehrheit, die es braucht? Wo sind die Menschen, die auf die Straße gehen?“.

Er vermisse generell die Unterstützung für Kommunalpolitiker, die bedroht würden. Die Finanzausstattung der Kommunen sei auch nicht wirklich gut. Das sei „ein ganz schöner Rucksack geworden“, so Neubauer.

Er wollte immer "mit dem Kopf durch die Wand"

Und an dieser Stelle beginnt der zweite Teil der Erzählung, die zu seinen Rücktrittsgründen gehören. Dirk Neubauer war ein streitbarer Kommunalpolitiker. Politische Weggefährten beschreiben ihn gerne mit "Er wollte immer mit dem Kopf durch die Wand". 

Insbesondere mit politischen Taktierereien wollte er nie etwas zu tun haben. Der Sächsische SPD-Chef Henning Homann, etwa beschreibt die Situation im Kreistag so: "Teile der CDU haben die Wahl von Dirk Neubauer nie akzeptiert. Sie haben sich jeder Sacharbeit verweigert und Woche für Woche selbst Kampagnen gefahren". 

Kurzum: Mit Kritik und Machtpoker konnte und wollte Dirk Neubauer nie etwas anfangen. Er war Pragmatiker durch und durch. In der Corona-Zeit etwa hatte er dafür gesorgt, dass seine Gemeinde Augustusburg zum Modellprojekt für die damals noch ganz neuen Corona-Schnelltests wurden. Hintergrund: Augustusburg lebt vom Tourismus. Bei KOMMUNAL hatten wir damals ausführlich über das Projekt berichtet, hier ein kurzer Auszug aus dem Artikel von März 2021. 

In Augustusburg, 4900 Einwohner hat die malerische Kleinstadt mit ihrem herrlichen Blick auf das ehemalige Jagdschloss der sächsischen Kurfürsten, entsteht ein eigenes Schnelltestzentrum. Dafür wurden extra Container aufgestellt. Jeder, der will, kann sich dort testen lassen und bekommt - negatives Testergebnis vorausgesetzt - eine digitale Eintrittskarte. Die ist drei Tage gültig und kann dann mit einem weiteren negativen Schnelltest verlängert werden. Die Eintrittskarte berechtigt dann dazu, Gaststätten, Hotels und Restaurants zu besuchen. Eine digitale Besucherkarte also für Gastronomie, Läden und Hotels. 
Bürgermeister Dirk Neubauer ist zuversichtlich, dass es schon am Dienstag, 9. März, losgehen kann. Dann soll eine Schnelltestschulung für das künftige Personal durchgeführt werden. Das Deutsche Rote Kreuz übernimmt das. 





Landrat sah die Demokratie seit Jahren in Gefahr 

Und auch sonst eckte Dirk Neubauer regelmässig an. War aber gleichzeitig in seiner Sprache und seiner Deutlichkeit, wie er sich Dinge vorstellt, immer klar und deutlich. So schrieb er als Bürgermeister im Mai 2021 einen häufig kommentierten Gastbeitrag für KOMMUNAL zur Zukunft der Kommunen. Schon die Überchrift war mehr als klar: "Stärkt die Kommunen, vertraut den Kommunen". Er forderte darin eine Abkehr von der Fördermittelpolitik und stellte fest: "Seit Jahren hat die Kommune im politischen Geschäft immer weniger Gewicht. 

Wörtlich schrieb er: "Unsere Demokratie droht zu sterben. Und das hat sehr viel damit zu tun, dass die Herzkammern der Demokratie, die Kommunen, ebenfalls schwer krank sind. Wenn wir die wirklichen Herausforderungen der Zukunft bewältigen und dabei den sozialen Frieden wahren wollen, müssen wir jetzt alles anders machen! Vertraut den Bürgern!  Vertraut den Bürgern! Vertraut den Kommunen! Teilt die Macht und fordert Verantwortung von allen. Die Kommune ist die kleinste Zelle der Demokratie."

Doch politisch - gerade in den vergangenen beiden Jahren als Landrat - eckte er nicht nur an, er landete politisch auch immer wieder in Sackgassen, wurde dann frech und schlug in Debatten unpassende Töne an. Dem war er sich bewusst, entschuldigte sich auch immer wieder mal. 

Vor allem auf der Plattform X schlug er zuletzt schrille Töne an. Etwa als er die Steuerpläne von Sarah Wagenknecht kritisierte. Wörtlich: "Und das von einer Millionärin im rechtsblinkenden Selbstbereicherungsmodus. Glaubhaft geht ganz anders.“ 

Er brachte aber immer wieder aus versöhnliche Töne, so nannte er Trump zwar einen Alptraum, meinte aber auch: "Das muss eine Demokratie aushalten". 

Zu einem Angriff auf ein Krankenhaus in der Ukraine setzte der Landrat diesen Post bei X ab.

X Profil

 

Kurz vor seinem Rücktritt hatte auch die Lokalzeitung der Region, die Leipziger Volkszeitung, seine Aktivitäten im Internet kritisch beäugt. Unter der Überschrift: "Der Kontra-Landrat" erschien ein Text, der mit den Worten: "Dirk Neubauer pöbelt jetzt im Internet zurück" begann und warf insgesamt ein kritisches Bild auch auf die Debattenkultur von Neubauer. Wörtlich schrieb das Blatt: "Wenn der Ton wirklich die Musik macht, dann setzt Dirk Neubauer neuerdings auf kreischende Gitarren. Auf ein Schlagzeug, das mit wüsten und schnellen Schlägen malträtiert wird. Auf brüllenden Gesang. Es dröhnt also, es hämmert und scheppert, wenn Mittelsachsens parteiloser Landrat aktuell einen neuen Post bei X absetzt. Neubauer hat seit geraumer Zeit die Tonart seiner Wortmeldungen auf der Plattform verschärft. Er pöbelt offensiv zurück. Er spitzt zu und provoziert."

 

 



 

Der Rücktritt ist auch ein Scheitern - aber sowohl des Landrats als auch der Menschen 



Nicht zuletzt in den digitalen Debatten zeigen sich die beruflichen Wurzeln von Dirk Neubauer. Denn eigentlich war der Bürgermeister und Landrat gelernter Journalist. War es also gewohnt, auch mal mit scharfer Zunge und bewussten Übertreibungen Aufmerksamkeit zu erregen. Und das war auch als Landrat immer sein Ziel. Ihm ging das Umgestalten des Landkreises nicht schnell genug. Ungeduld war wohl sein größter Gegner. Im positiven Sinne. 

Deshalb hatte er vor einigen Monaten erneut deutschlandweit Schlagzeilen gemacht, weil er das politische System insgesamt in einer Schieflage sah. Allen voran Ostdeutschland. Und so rief er eine eigene Denkwerkstatt ins Leben. Eine Initiative, die aus den Kommunen heraus neue politische Impulse setzen soll. Die Selbstbeschreibung der kommunalen Initiative: "Sie will inspirieren, Mut machen, zur Kreativität anregen, das Gemeinwesen unserer Gesellschaft unterstützen, demokratische Institutionen stärken". 

Fazit: Am Ende wollte er besonders viel in besonders kurzer Zeit umgestalten - und ist auch an diesem Anspruch gescheitert. Die massiv schlechte Finanzsituation der Kommunen kamen dazu - seit Jahren musste er das zunächst als Bürgermeister, später als Landrat mit ansehen, wie der Gestaltungsspielraum immer kleiner wird. Fehlende Mehrheiten im Kreistag als Parteiloser machten es auch nicht einfacher. Die widerwärtigen Attacken, oftmals aus dem rechtsextremen Lager, etwa wenn er in Sträflingskleidung abgebildet wurde, brachten dann das Fass zum Überlaufen. 

So bleibt am Ende als Trost nur ein Zitat von Dirk Neubauer selbst: "Ich hänge nicht an so einem Amt".