Landschaft
Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen - wie ländliche Regionen Ärzte gewinnen können
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Förderungen

Mehr Ärzte aufs Land – was wirklich gegen Ärztemangel hilft

Anreize, Stipendien und Förderungen um mehr Nachwuchsmediziner in strukturschwache Regionen zu bringen, gibt es viele. Doch was hilft wirklich und was läuft ins Leere? Wir haben einen Experten gefragt.

Gerade in strukturschwachen Regionen ist der Ärztemangel eklatant und werden Allgemein- ebenso wie Fachärzte händeringend gesucht. Mit verschiedensten Programmen, Stipendien und Förderprojekten versuchen Kommunen und kassenärztliche Vereinigungen, junge Mediziner für die Arbeit auf dem Land zu gewinnen. Doch welchen Erfolg haben diese Ansätze wirklich? Was geht auf und was scheitert in der Praxis? Wir haben uns mit einem Experten hierzu unterhalten.

Projekte gegen den Ärztemangel

Sie heißen „Landarztmacher“, „FamuLAND“, „Hausarzt 360 Grad“ oder „BeLa“-Projekt. Die Rahmenbedingungen und Förderungen der Stipendienprogramme und Initiativen sind jeweils unterschiedlich, ihr Ziel aber ist stets das Gleiche: mehr Ärzte in strukturschwache Regionen bringen, dorthin also, wo Kommunen bereits jetzt unter einem eklatanten Allgemein- wie Facharztmangel leiden. Jochen Maurer ist als Leiter des Referats Strategische Versorgungsstrukturen & Sicherstellung bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern tagtäglich mit dieser Herausforderung konfrontiert und weiß aus Erfahrung, welche Ansätze mehr und welche weniger greifen.

Ärztemangel wird noch zunehmen

Grundsätzlich wird die Herausforderung laut Maurer immer größer. „Aktuell gibt es rund 400 freie Sitze bei der Hausarztversorgung in Bayern, in Zukunft wird die Zahl noch größer werden“, so der Mitarbeiter der KVB. Die Gründe hierfür sind zahlreich. Zum einen steigt durch die demographische Entwicklung der Behandlungsbedarf, zudem gehen viele Ärzte in den Ruhestand. Gleichzeitig aber gibt es zu wenig Nachwuchs an Medizinstudenten und möchten die Absolventen, zunehmend lieber in Teil- als in Vollzeit arbeiten. Dadurch kommt es zur Mangelversorgung – erst Recht in strukturschwachen Regionen.

Bezug zum Land schaffen – so früh wie möglich

Ganz unabhängig vom jeweiligen Programm ist laut Maurer klar: Je früher die Förderprogramme ansetzen, desto besser. „Das Medizinstudium ist in vielen Teilen sehr kliniklastig“, so der Mitarbeiter, und oft wüssten die Studenten gar nicht, welche Möglichkeiten sich jenseits der Kliniken bieten. Deshalb könne es entscheidend sein, schon im Studium erste praktische Erfahrungen in der Landarzt-Realität zu sammeln. „Wir unterstützen deshalb zum Beispiel eine Famulatur auf dem Land, damit die Studenten schon möglichst früh die ambulante Versorgung und die Versorgungsrealität am Land kennenlernen“, sagt Maurer. Nicht selten sei diese der Anfang einer Bindung der Jungmediziner an die jeweilige Region.

Ärztin mit Patienten
Alltag in der Landpraxis - eine wichtige Erfahrung für Nachwuchsmediziner

Kooperation statt Kirchturmdenken

Aufgrund der angespannten Lage und der Kluft zwischen Angebot und Nachfrage besteht gerade in strukturschwachen Regionen ein Wettbewerb zwischen den möglichen Standorten. So sagt Maurer: „Die Kommunen stehen in gewisser Weise in Konkurrenz zueinander, wenn es darum geht, wo sich ein Arzt ansiedelt. Deshalb sollten sie es dem niederlassenden Arzt so leicht wie möglich machen“. Gleichzeitig seit es auch keine Lösung, dass sich nahe beieinander liegende Kommunen gegenseitig überbieten, denn liegen Kommunen zu nahe beieinander, heben sich Einzelmaßnahmen aus Erfahrung von Maurer im schlechtesten Fall gegenseitig auf und führe das „Kirchturmdenken einzelner Kommunen“ ins Leere.

Enger Draht zwischen Kommunen, Ärzten und Kassenärztlicher Vereinigung nötig

Auch die Abstimmung zwischen Kommunen, Kassenärztlicher Vereinigung und Ärzteschaft ist aus Sicht von Maurer spielentscheidend, wenn es um die langfristige Planung der Versorgung geht. Mit den Kommunen ist die KV über die verschiedenen Gesundheitsregionen in engem Kontakt. So vermittelt die Vereinigung kommunale Ansprechpartner, wenn Ärzte sich niederlassen wollen und Hilfestellungen brauchen. Direkt kooperieren Kommunen und KV bei der Ansiedlung von Eigeneinrichtungen der KVB, also in jenen Fälle, bei denen keine Niederlassung klappt und die KVB selbst eine Praxis einrichtet - aktuell etwa so geschehen bei der Einrichtung einer Hautarztpraxis in Marktredwitz.

Stipendien und Förderungen müssen eingebettet sein

Ganz gleich, um welches Stipendium oder Programm es sich handelt: Aus Erfahrung von Maurer muss es unbedingt eingebettet sein in ein umfassendes und vielseitiges Gesamtkonzept. „Wenn ich als Kommune möchte, dass ein Mediziner in die Region kommt, braucht es einen ganzheitlichen Ansatz“, so Maurer. Das bedeutet konkret: Wenn ein Medizinstudent beispielsweise seine Famulatur in einer Landarztpraxis absolviert, sollte dieses Teil eines attraktiven Rahmenprogramms sein und begleitet durch eine intensive Betreuung vor Ort.

„Klebeeffekt“ zur Region soll entstehen

„Wenn jemand schon mal vor Ort ist, ist das eine große Chance: Man kann ihm die Besonderheiten der Region zeigen und Einblicke geben in die weiteren Ausbildungsmöglichkeiten in der Nähe, zum Beispiel in Kliniken für den späteren Einsatz“. So sei das Wichtigste für eine längerfristige Bindung, dass die Nachwuchsmediziner mehr sehen als ihre Praxis und „nicht nur einmal rausgehen aufs Land, sondern eine Bindung zur Region erleben“, wie Maurer sagt. Der strategische Leiter spricht in diesem Zusammenhang von einem „Klebeeffekt“, der im besten Fall erreicht werden soll – sprich, die jungen Ärzte sollen eine Nähe erleben zur Region, eine Beziehung aufbauen, weitere Perspektiven dort kennenlernen und gerne wieder dorthin zurückkommen wollen.

Standortmarketing der Kommunen

Angesichts der hohen Nachfragen und des raren Angebots spielt die Attraktivität und die Infrastruktur der Kommunen laut Maurer eine immer größere Rolle für die Nachwuchsmediziner. Vor allem aber müsse dieses Angebot sichtbar sein. So stellt Maurer fest: „„Die Nachwuchsmediziner fragen sich heute nicht mehr nur, wo möchte ich Arzt sein, sondern sie fragen sich, wo möchte ich leben?“ Entsprechend spiele das regionale Angebot etwa im Freizeit- oder Bildungsbereich eine große Rolle. „Die Kommunen müssen präsent sein für die angehenden Ärzte und ihr Angebot aufbereiten“, so Maurer ob das über eine moderne Webpräsenz, Social Media Kanäle oder gezielte Standortmarketing-Kampagnen der Fall sei. Hier gebe es mitunter noch großen Nachholbedarf.

Kommen um zu bleiben

Angesichts der Komplexität und der Vielzahl der einflussnehmenden Faktoren ist eine exakte Evaluation der Auswirkung der verschiedenen Förderprogramme laut Maurer schwierig. Allerdings zeigt sich: „Die Förderungen helfen und je früher Studenten mit dem Arztdasein auf dem Land in Berührung kommen, desto besser“. Die Gründe, die bei jungen Medizinern zur Entscheidung führen, sich auf dem Lande niederzulassen, seien letztlich meist „multifaktorell“. „Da spielen viele Faktoren mit hinein: Die vertragsärztliche Versorgung, die Einbettung in der Region, die Räumlichkeiten, die Möglichkeiten für die eigene Familie, die Lebensqualität und das kulturelle Angebot“, so Maurer. Entsprechend müsse man als Kommune an diesen verschiedenen Faktoren ansetzen und alles dafür tun, dass die Mediziner möglichst früh in die Region kommen und diese dann auch möglichst facettenreich und einladend kennenlernen. Entscheidet sich ein Absolvent dann dazu, es mit seiner Familie auf dem Land zu versuchen, ist die Wahrscheinlichkeit laut Maurer vergleichsweise hoch, dass er auch bleibt.