Pettstadt Bürgermeister Hack vor Tempo-30-Schild
Bürgermeister Jochen Hack am Ortseingang: "Das Projekt ist gut angelaufen."
© Gudrun Mallwitz

Mobilität

Verkehrskonzepte von morgen

Ein kleiner Ort in Bayern setzt auf ein spannendes Verkehrskonzept, von dem er sich eine bessere Luft, weniger Lärm und mehr Sicherheit für die Fußgänger verspricht. Großstädte schaffen mehr Freiraum für Fahrradfahrer – und unsere Autos sollen umweltfreundlicher werden. Deutschland bastelt am Verkehr von heute und plant den Verkehr von morgen. Unsere Beispiele!

Wer zum ersten Mal nach Pettstadt kommt, darf sich wundern: Denn in der fränkischen Kommune bei Bamberg findet der Autofahrer alle Verkehrsregeln auf einem einzigen Schild. Angebracht ist es an den Ortseingängen: Tempo 30-Zone. Darunter der Hinweis: Rechts vor Links im gesamten Ort. Die Vorfahrtsschilder sind alle weg. Nicht einmal mehr Parkverbots- und Halteverbotsschilder gibt es in dem kleinen Ort. „Wir haben 126 nicht mehr benötigte Schilder entsorgt“, berichtet Bürgermeister Jochen Hack beim Besuch von KOMMUNAL  in Pettstadt. Noch liegen die Schilder-Relikte vor dem Bauhof außerhalb des Ortszentrums, in den nächsten Tagen werden sie verschrottet. Ein bunter Haufen, auch die blauweißen Einbahnstraßen-Schilder sind darunter.  Die Gemeinde nutzte die Gelegenheit, um beschädigte Schilder wie „Leinenpflicht für große Hunde und Kampfhunde im gesamten Gemeindegebiet“ ebenfalls zu entsorgen.

Tempo 30 in ganz Pettstadt

Warum machte die Gemeinde Tabula Rasa? Warum „holzten“ die Mitarbeiter den üblichen „Schilderwald“ ab? Hinter der Aktion steckt ein mutiges Verkehrsexperiment. Im gesamten Ort darf nicht schneller als Tempo 30 gefahren werden, es gilt überall Rechts vor Links und die Kommune vertraut auf die Vernunft der Bewohner und Gäste, ihre Autos ordnungsgemäß zu parken. „Wir wollen erreichen, dass sich nicht nur die Verkehrssicherheit erhöht, sondern auch die Aufenthalts- und Wohnqualität steigt“, erläutert der Bürgermeister. „Und appellieren deshalb an alle Verkehrsteilnehmer, sich an die einheitliche Geschwindigkeitsbeschränkung zu halten und die Rechts-vor LinksRegelung zu beachten.“  Nicht allen fiel das leicht in den ersten Tagen. Enikö Linz, die im Ortszentrum wohnt, sagte: „Da muss man richtig gut aufpassen.“ Sie findet die neuen Regeln dennoch gut: „Ich bringe jeden Tag meine Tochter Sophie in die Kita und freue mich, wenn alle langsamer unterwegs sind.“

Abgebaute Schilder Pettstadt
Pettstadt hat 126 Schilder im Ort abgebaut.



Das kleine Pettstadt wurde in ersten Reaktionen prompt mit Paris verglichen. In der französischen Metropole steht an den Ortseingängen ebenso ein Tempo-30-Schild, hier gilt inzwischen auf fast allen Straßen die Geschwindigkeitsbegrenzung. Auf der Ringautobahn und den großen Verkehrsachsen darf weiterhin 50 Stundenkilometer gefahren werden. Eine Umfrage hatte ergeben, dass sich das Tempolimit fast 60 Prozent der Pariser wünschen. Allerdings kommt soviel Tempo-30 nicht bei allen das gut an – vor allem nicht bei den Autofahrern. Sie klagen über noch mehr Staus. Die Tempo-30-Gegner bezweifeln zudem, dass über dieses Konzept tatsächlich weniger schädliches CO2 ausgestoßen wird.

In deutschen Großstädten tobt derzeit der Kampf um den öffentlichen Raum. Wieviel soll den Autofahrern künftig davon noch zustehen, wie können Radfahrer heil zu ihrem Ziel kommen – und wie gelingt es, dass Fußgänger bei all den Autos, LKWs, Rollern und Fahrrädern nicht unter die Räder kommen?

Friedrichstraße teilweise autofrei
Die Friedrichstraße in Berlin ist in einem Teilstück autofrei.

Paris hat Teile der Innenstadt in eine autofreie Zone verwandelt, zehntausende von Parkplätzen verschwanden zugunsten neuer Fahrradwege. In Berlin weichen auch immer mehr Parkplätze zum Leidwesen der Autofahrer und zur Freude der Fahrradfahrer. Auf vielen Hauptverkehrsachsen gilt inzwischen Tempo 30. Neben sogenannten Begegnungszonen – hier agieren Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer gleichberechtigt, was teilweise zu ziemlicher Verwirrung sorgt – testet die Hauptstadt autofreie Zonen. Die Friedrichstraße soll auf rund einem halben Kilometer autofrei bleiben, seit Sommer 2020 dürfen auf diesem Abschnitt keine Autos mehr fahren. Dafür wurde der Radweg verbreitert und es wurden Sitzgelegenheiten für die Fußgänger aufgestellt. Die Bilanz des Verkehrsversuchs fällt höchst unterschiedlich aus: Die Senatsverwaltung spricht von einem Erfolg, Kritik aber kommt von Geschäftsleuten und Anwohnern, aber auch von Autofahrern, die den Abschnitt nun umfahren müssen.

Gemeinderat genehmigt Konzept

„Der Vergleich zwischen uns und Paris ist natürlich Quatsch“, sagt Bürgermeister Hack. „Nicht nur, weil Pettstadt mit 2000 Einwohnern doch ziemlich klein ist.  Wir haben hier auch kaum Durchgangsverkehr, sondern reinen Anwohnerverkehr.“ Pettstadt ist von großen Straßen umgeben und kann daher problemlos umfahren werden.  „Wir hatten hier schon vorher viele Tempo-30-Straßen. Den ganzen Ort einzubeziehen, war aus unserer Sicht da nur konsequent.“ Der 14-köpfige Gemeinderat hat das Konzept einstimmig beschlossen und war gespannt, wie es bei den Bürgern ankommt. Die Einwohner hatten über den wachsenden Verkehr geklagt und sich mehr Ruhe gewünscht.. Nach den ersten Monaten zieht der ehrenamtliche Bürgermeister eine erste, positive Bilanz: „Die Leute halten sich weitgehend an die einheitliche Regelung“, sagt er, „und haben sich an die neue Situation mit Rechts vor Links gewöhnt.“  Begleitet wird der Versuch von der Polizei und von der Verkehrsbehörde beim Landratsamt.  Tempo 30 biete mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer, vor allem aber für die Jüngeren auf dem Schulweg, so das Fazit des Bürgermeisters.

Widerstand gegen autofreie Innenstädte

Deutschland bastelt am Verkehr von heute und plant den Verkehr von morgen. Dabei geht es nicht gerade einträchtig zu. In Potsdam wird seit Jahren darüber diskutiert, ob das bei Touristen so beliebte Holländische Viertel besser autofrei werden soll. Doch alle Versuche sind bislang an den Anwohnern und Händlern gescheitert.  In Halle an der Saale kippte vor einigen Monaten ein Bürgerentscheid den Beschluss des Stadtrates, eine weitgehend autofreie Innenstadt zu schaffen. Mehr als 60 Prozent votierten bei der Abstimmung gegen die Pläne. Sie sahen unter anderem verkehrsberuhigte Bereiche in der nordwestlichen und südlichen Altstadt vor, in den Straßen der historischen Altstadt sollten schrittweise Parkplätze wegfallen, die Fußgängerzone sollte verlängert werden. Die Stadt will das Konzept jetzt anpassen. Eine Citymaut wie in Wien, London, Stockholm, Oslo oder Mailand, steht nicht explizit im rot-grün-gelben Koalitionsvertrag.  Sie würde den Anreiz erhöhen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.

City-Maut nicht im Koalitionsvertrag

Zudem spült sie Geld in die öffentliche Kasse, das in das Verkehrsnetz investiert werden könnte. Es gäbe weniger Staus, so die Befürworter einer Maut. Gegner hingegen verweisen darauf, dass sich eine solche Abgabe nicht jeder leisten kann und damit auch Dienstleistungen teurer würden. Handwerker würden die Gebühren auf die Kunden umlegen. Für die Münchener Innenstadt hat das Ifo Institut im Herbst 2020 im Auftrag der Industrie- und Handelskammer den Effekt erforscht. Das Ergebnis: Der Verkehr würde sich bei einer City-Maut-Pauschale von sechs Euro in der Innenstadt um 23 Prozent verringern. Die Einnahmen von rund 600 Millionen Euro könnten genutzt werden, um den Nahverkehr auszubauen. Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP verspricht, in Städten Ladezonen und Logistik. Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung  so anzupassen, dass Länder und Kommunen mehr Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Städte bekommen.

E-Mobilität vorantreiben

Die digitale Parkraumkontrolle soll eingeführt werden. Eine solche Lösung würde den Kontrollaufwand der Ordnungsbehörden massiv verringern. Die Regierung will die E-Mobilität vorantreiben, doch nicht nur auf dem Land,  auch in den Städten fehlen immer noch E-Ladesäulen. Kommunale Unternehmen bekommen neuerdings Zuschüsse  für neue Ladepunkte an nicht öffentlich zugängigen Stellplätzen. 70 Prozent der förderfähigen Gesamtkosten werden nun erstattet - pro Ladepunkt bis maximal 900 Euro.  Schon jetzt gibt es Städte, die auch auf Wasserstoff setzen,  wie  Wuppertal. Dort wird aus Müll Wasserstoff produziert, der dann die Brennstoffzellen-Busse der kommunalen Flotte antreibt. Entstehen soll damit ein idealer Kreislauf von der Abfallversorgung über die Energiegewinnung bis hin zum öffentlichen Nahverkehr. Auch das autonome Fahren testen bereits mehrere Kommunen..  Seit Ende Juli 2021 ist das  Gesetz zum autonomen Fahren in Kraft. Damit dürfen solche Fahrzeuge in festgelegten Betriebsbereichen im öffentlichen Straßenverkehr bundesweit im Regelbetrieb unterwegs sein.

Fahrradausbau: Hannover erfolgreich

Der Passus im neuen Regierungsvertrag zum Fahrradausbau liest sich sehr allgemein, doch immer mehr Städte haben längst ihre eigenen Ziele definiert.  Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover setzt seit Jahren auf den Ausbau des Radverkehrs: Radfahrer können inzwischen 1000 Kilometer in Hannover zurücklegen. Der Masterplan Mobilität der Stadt sieht den weiteren Ausbau vor. Auch der Landkreis Karlsruhe will den Radverkehrsanteil auf 25 Prozent in den nächsten Jahren steigern. Andere Städte und kleine Gemeinden treiben solche Pläne  ebenfalls voran. Auch die kleine fränkische Kommune ist stolz auf seine Radwege. Der Bürgermeister radelt nur fast noch, sagt er. Selbst ins rund 10 Kilometer entfernte Bamberg, wenn er dort zu tun hat. „Mit meinem E-Bike brauche ich etwa 20 bis 25 Minuten.“ Sein Eindruck: Seit überall im Ort Tempo 30 gilt, sind die Pettstadter viel entspannter unterwegs.

 

Fotocredits: Friedrichstraße: Adobe Stock