Waltraud Schneller kehrte zurück und verkauft die Brötchen wieder.
Waltraud Schneller kehrte zurück und verkauft die Brötchen wieder.
© Gudrun Mallwitz

Daseinsvorsorge

Warum eine Stadt eigene Brötchen backen darf

In Wolframs-Eschenbach hat die Stadt eine eigene Bäckerei eröffnet. KOMMUNAL besuchte die 3200- Einwohner-Ort in Franken und ließ sich von Bürgermeister Michael Dörr berichten, wie er die Erlaubnis bei der Kommunalaufsicht für das ungewöhnliche Vorhaben erhielt.

Eröffnet ein cooler Laden in einer Stadt, dann gibt es immer wieder Menschen, die schon am Abend davor dort sind, um den ersten Tag ja nicht zu verpassen. Manche campieren sogar vor dem Geschäft. Als in Wolframs-Eschenbach kürzlich ein zuvor zwei Jahre leerstehender Laden wieder aufmachte, war der Andrang ebenfalls groß – wenn auch keiner vor der Tür übernachtete. „Die ersten Kunden standen schon um 6.30 Uhr davor“, berichtet Bürgermeister Michael Dörr. Die Attraktion, die lockte, war nicht etwa ein neues Handymodell oder ein Modelabel zum Schnäppchenpreis. Die Attraktion – das waren frische, knusprige und noch warme Brötchen. Semmeln, wie der Bayer dazu sagt.

Bürgermeister holt Bäckereiangebot nach Wolframs-Eschenbach zurück

„Versemmeln“ wäre aber komplett das Gegenteil davon, was dem Bürgermeister der Kleinstadt südwestlich von Nürnberg gelungen ist. Er hat in den 3.200-Einwohner-Ort das zurückgeholt, was die Wolframs-Eschenbacher in den vergangenen zwei Jahren zutiefst vermisst hatten: Eine Bäckerei. Beim Besuch von KOMMUNAL erläuterte Bürgermeister Michael Dörr, wie es dazu kam, dass die Stadt nun selbst die Brötchen backt – und welche Pläne er mit der kommunalen Bäckerei noch hat. Hinter der Theke stehen an diesem Tag zwei Verkäuferinnen, denen die Kunden kaum eine Pause gönnen. „Mischbrot oder Bauernbrot?“ - „Ich nehme das Mischbrot - a ganzes!“ In der Auslage: Florentiner für 1,35 Euro, Dreiaugen für 1,40 Euro, Bamberger Hörnchen und Plunder. Die Laugenbrezeln kosten 0,67 Euro das Stück.

"Der Laden läuft, die Kunden sind glücklich"

Die Theke der Stadtbäckerei stammt noch aus dem Mobiliar des vorletzten Bäckers, der das Geschäft 2016 aufgegeben hatte. Und das Kühlregal für Cola & Co im Verkaufsraum stand früher in der alten Küche des Bäckermeisters. Der Bürgermeister kennt sich gut aus in den Räumen der Bäckerei. Denn die Stadt hat sie unter seiner Regie umbauen lassen. „Ich bin seit Monaten so gut wie jeden Tag einmal hier“, erzählt er. Heute hat eine der drei festangestellten Backwarenverkäuferinnen frei, da hilft eine Mitarbeiterin aus der Verwaltung im Büro der Bäckerei aus. „Die Erwartungen wurden bislang übertroffen“, sagt Dörr. „Der Laden läuft, die Kunden sind glücklich. Denn auch die Qualität stimmt.“ Ohne Kompromiss ging es nicht: Der Teig kommt von der etwa acht Kilometer entfernten Bäckerei des Sozialunternehmens Diakoneo. Die ersten Semmeln und Brote werden morgens fertig gebacken, der Rest wird als Teigling geliefert. „Dieser Teig wird in der Bäckerei über den Tag weg gebacken“, erläutert Dörr. Das Resultat schmeckt.

Bürgermeister Dörr

Bürgermeister Michael Dörr kann den Bewohnern von Wolframs-Eschenbach wieder Brötchen "anbieten".



Seit 1598 hatte es in der Heimatstadt des Dichters und Minnesängers Wolfram von Eschenbach einen Bäcker-Laden gegeben, viele Jahrhunderte später, im Juni 2018, wurden dann aber erstmals keine Brote und Semmeln mehr in der Innenstadt verkauft. Den Wolframs-Eschenbachern blieben nur die Brötchen vom Discounter, und der ist nicht im Ortskern zu finden. „Die zwei Jahre sind bei weitem nicht so lange, wie Wolframvon Eschenbach einst an seinem größten Werk, dem Parzival mit 25.000 Versen, geschrieben hat, doch sie waren lang genug“, meint Bürgermeister Michael Dörr.

Letzter Bäcker machte vor zwei Jahren dicht

Nachdem sich der langjährige Bäckermeister in den Ruhestand verabschiedet hatte, war erstmal eine Filiale eines Bäckers aus dem Umkreis eingezogen. Angeblich, weil Personal fehlte, machte der Laden aber schon nach gut zwei Jahren zu. Dörr versuchte nun alles nur Mögliche, um einen Nachfolger für die Bäckerei zu finden. „Ich klapperte unzählige Bäcker ab“, erinnert er sich, „doch keiner zeigte Interesse“. Bis es ihm schließlich reichte. Er hatte die Idee, dass die Stadt selbst eine Bäckerei eröffnet – und es gelang ihm!

Die Kommune als Unternehmen – das ist keine Seltenheit. Wo private Investoren fehlen, ist das wirtschaftliche Engagement von Städten und Gemeinden oft die einzige Möglichkeit, damit essenzielle Angebote zu sichern.

Aber gehört eine eigene Stadtbäckerei wirklich zur Daseinsvorsorge? Die Kommunalaufsicht beim Landkreis Ansbach bejahte das nach intensiver Prüfung. „Den Kommunalaufsichtsbeschluss zu bekommen, war gar nicht so einfach“, sagt der Bürgermeister. Er hat dafür viele Briefe geschrieben. „Stellungnahmen mussten eingeholt werden, von der Handwerkskammer in Mittelfranken bishin zur Industrie-und Handelskammer“, schildert er seine Bemühungen. "Dann kam die erlösende Nachricht. Wenn es keinen Mitbewerber gibt, dann dürfen wir.“

Vorher hatte er sich schon einen Grundsatzbeschluss von den Stadträten geholt, der mehrheitlich gefasst wurde. Und so sieht das Betreiberkonstrukt aus: Die Stadt gründete einen Betrieb gewerblicher Art (BgA) und schloss mit dem langjährigen Bäckermeister, dem das Haus gehört, einen Pachtvertrag für die 110 Quadratmeter im Erdgeschoss. „Wir vereinbarten, dass wir eine niedrige Pacht zahlen, dafür aber 50.000 Euro investieren.“ Der Pachtvertrag wurde zunächst für fünf Jahre geschlossen.  Nach etwa 12 Jahren soll der Laden wieder an den Eigentümer zurückgehen. „Unser Ziel ist es, nach drei Jahren in der Gewinnzone zu landen“, sagt Bürgermeister Dörr. Nach dem gelungenen Start zeigt er sich optimistisch. „Wenn das Geschäft so anhält, brauchen wir bald Verstärkung“, sagt er. Inzwischen sind schon drei Aushilfen auf 450-Euro-Basis engagiert.

 

Unser Ziel ist es, nach drei Jahren in der Gewinnzone zu landen."

Michael Dörr, Bürgermeister von Wolframs-Eschenbach





Die Stadt setzt auf Synergieeffekte: Schon heute beliefert die Bäckerei den Metzgerladen gegenüber. Dafür kauft sie die Wurst für das Frühstücksangebot im Café.  Auch das Altenheim und Gewerbetreibende sollen mit den Backwaren versorgt werden. Außerdem will der Bürgermeister Handzettel in alle Haushalte verteilen lassen. Ein kleines Café gehört auch zur Bäckerei. „Ich bin angetreten mit dem Versprechen, mehr Leben in die Altstadt zu bringen“, sagt Dörr.  Im März dieses Jahres wurde er zum dritten Mal gewählt. Der heute 47-Jährige, der seit 2008 amtiert, ist nur ein paar Meter von der Bäckerei entfernt aufgewachsen.

Die Altstadt von Wolframs-Eschenbach
Die hübsche Altstadt von Wolframs-Eschenbach, in der die Bäckerei zu finden ist.

Unter Michael Dörr als Bürgermeister hat die Stadt 2012 bereits ein großes Gebäude mit einem Gasthaus in der gleichen Straße gekauft. Nachdem sich in der Finanzkrise kein Investor fand, ließ sie das Haus bis 2017 sanieren und umbauen. Der Gasthof war rasch verpachtet. Außerdem betreibt die Stadt die Postagentur im Rathaus und bietet im Bürgerladen auch Schulbedarf, Zeitungen und Zeitschriften, Karten und Geschenkartikel an.

Kunden freuen sich über die wiedereröffnete Bäckerei



Die Kunden sind froh darüber, dass nun auch die Bäckerei zurück ist. Die 41-jährige Ramona Radu schwärmt: „Der Bäcker ist zentral gelegen, das ist für die älteren Bewohner ganz wichtig, und man kann hier auch mal einen Kaffee trinken.“ Albert Kamm, 82, kommt zweimal die Woche und hat sich dieses Mal ein Sechs-Korn-Brot geholt.  Überrascht hat ihn, zwei Verkäuferinnen wiederzusehen, die bereits früher hier gearbeitet haben. Waltraud Schneller ist eine von ihnen. Sie sagt: „Es ist ein schönes Gefühl, zurück zu sein. Die Kunden freuen sich, dass die Bäckerei wieder da ist und dann auch noch mit den vertrauten Gesichtern.



 

Fotocredits: Gudrun Mallwitz, Adobe Stock (Brötchen)