Frankfurt an der Oder von oben
Frankfurt an der Oder - der Bürgermeister regiert derzeit vom Oderturm aus.
© Toni Feist

Bürgermeister des Monats

Bürgernah, pragmatisch und mit klarer Haltung

René Wilke ist seit drei Jahren Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, das mit dem benachbarten Slubice eine Doppelstadt bildet.

Mal ist es eine Pizza, mal ein Reisgericht vom Vietnamesen. In seiner Mittagspause ist der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke, in diesen Tagen viel unterwegs: Jeden Tag holt sich das Stadtoberhaupt das Essen in einem anderen Restaurant ab. „In der Corona-Krise will ich die Gastronomie in unserer Stadt unterstützen und für die Bürger ansprechbar sein“, sagt Wilke.

René Wilke zeigt sich bodenständig

Auch wenn sich sein Büro während der Sanierung des historischen Rathauses im achten Stockwerk des „Oderturms“ befindet – eines jener typischen Hochhäuser, die während des Sozialismus wohl in jeder größeren Stadt der DDR ebenso wie in Osteuropa entstanden sind -, die Bodenhaftung hat der Linken-Politiker nicht verloren. Im Gegenteil. Am Ewigkeitssonntag war er wie viele Frankfurter auf dem Friedhof unterwegs, zu den Gräbern der Familie. „Meine Lebensgefährtin und ich hatten eine halbe Stunde dafür eingeplant“, sagt Wilke. „Tatsächlich waren wir eineinhalb Stunden unterwegs, eine halbe Stunde allein im Blumenladen.“

Denn wenn der Oberbürgermeister in seiner Stadt unterwegs ist, wird er eigentlich permanent von den Bürgern angesprochen. „Ich bin sogar schon umgezogen, weil Menschen mit Unterlagen auf mich warteten, als ich morgens die Wohnungstür aufmachte“, sagte Wilke. „Da war schon eine Grenze überschritten.“ Und dennoch ist der LinkenPolitiker, der bis vor einigen Jahren noch Mitglied des Brandenburger Landtags war, dankbar dafür, dass die Situation genau so ist. „Andersherum wäre es doch viel schlimmer“, sagt Wilke. „Wenn die Leute nicht mehr glauben, dass sie ihren Oberbürgermeister ansprechen können oder dass es sich lohnt, ihm ihr Anliegen vorzutragen.“ Wenn ein Kommunalpolitiker die Schwelle überschritten hat, ab der er nicht mehr von Bürgern angesprochen wird, bedeute das doch schlicht, dass einen die Bürger abgeschrieben haben.

Frankfurt an der Oder: Deutsch-polnische Doppelstadt



In der Stadt direkt an der deutsch-polnischen Grenze, die mit dem benachbarten Slubice eine Doppelstadt bildet, hat Wilke seit seinem Amtsantritt einiges bewirken können. Besonders stolz ist er auf die Rettung des alten Kinos. Wo die Frankfurter zu DDR-Zeiten beim Flackern des Filmprojektors verstohlen die ersten Küsse austauschten, herrschte über viele Jahre hinweg Verfall. Das Gebäude verkam nach der Wende zu einer Ruine. Und noch im Wahlkampf wurde Wilke vorgeworfen, leere Versprechungen zu machen, denn an dem Gebäude hatten sich alle politischen Akteure der Stadt seit der Wende die Zähne ausgebissen.

Doch René Wilke gelang es nach einem guten halben Jahr, das Gebäude für die Stadt zu erwerben. Künftig soll dort das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst einziehen – und als das Haus vor einiger Zeit für Besucher geöffnet war, standen die Menschen bis auf die Straße. „Abends waren unsere Führer heiser“, erinnert sich Wilke, so groß sei der Andrang der Frankfurter gewesen, die wieder einmal in ihr altes Kino hineinschauen wollten.

Rene Wilke, Obebürgermeister Frankfurt an der Oder
Oberbürgermeister René Wilke  ist politisch für einen Mittelweg. 



Wieso sich der 36-jährige Oberbürgermeister, der die Wende als kleines Kind mit seinen Eltern in Moskau erlebte, und im Grunde zur ersten Nachwende-Generation gehört, in der Linkspartei engagiert? „Als ich mich politisiert habe und als Jugendlicher in Schülergremien war, ging es mir darum, wie sich eine Gesellschaft gerechter, ausgleichender und vermittelnder aufstellen kann, wie man sich gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung positionieren kann.“ Die aus Sicht des damaligen Schülers besten Antworten bot die Linke. „Ich gehöre aber dem Realoflügel meiner Partei an“, sagt Wilke. „Frankfurt an der Oder hat einen besonders konstruktiven Kreisverband: Dieser Kreisverband und auch mein Brandenburger Landesverband sind meine politische Heimat – in Teilen der Bundespartei fühle ich mich dagegen nicht zu Hause.“

Ausweisung von Intensivstraftätern prüfen

Als Oberbürgermeister musste Wilke bislang noch nicht von seinen Überzeugungen abweichen, sagt der Politiker. Seine Partei aber war nicht immer begeistert über sein politisches Handeln: So sorgte Wilke dafür, dass die Ausländerbehörde bei Intensivstraftätern mit Migrationshintergrund prüft, ob ein Ausweisungsverfahren angemessen und aussichtsreich erscheint, woraufhin es gegebenenfalls durchgeführt wird. Und in der Innenstadt ließ er eine Alkoholverbotszone einrichten, die nun noch auf bestimmte Spielplätze erweitert werden soll.

„Jeder Mensch ist unterschiedlich“, sagt Wilke. Es gebe nicht das eine Instrument, das bei allen Menschen wirke. „Ich halte es für eine naive Vorstellung, zu sagen, nur mit sozialarbeiterischen Maßnahmen erreicht man alle.“ Dann bräuchte es in Deutschland keine Justiz mehr. „Ich halte es aber auch für falsch, zu sagen, nur mit Strafen und Drangsalierungen sorgt man für einen Erziehungseffekt.“ Nötig sei ein adäquater und realistischer Mittelweg.



Wie sich der frühere Landespolitiker nach drei Jahren im Amt einen idealen Oberbürgermeister vorstellt? „Er muss eine Haltung für sich entwickeln, zu den Problemen, zu den Themen und den Dingen, die er will“, sagt Wilke. „Wenn man keine Haltung hat, schafft man im politischen Handeln, im Verwaltungshandeln und im Gewinnen von Menschen gar nichts.“ Diese eigene Haltung müsse aber immer im Kontakt und dem Dialog zu anderen Sichtweisen stehen, damit man nicht vergisst, dass man sich im demokratischen Prozess einordnen muss. „Und drittens“, sagt Wilke, und schmunzelt, „und drittens muss man versuchen, so gut es geht, eine eierlegende Wollmilchsau zu sein.“

Fotocredits: Luftbild: Toni Feist, Porträt Oberbürgermeister: Stadtverwaltung Frankfurt an der Oder