Lisa Grindmayer (inks) und Stephanie Haßelbeck sind auf den Bauernhof ihrer Kindheit zurückgekehrt.
Lisa Grindmayer (inks) und Stephanie Haßelbeck sind auf den Bauernhof ihrer Kindheit zurückgekehrt. Sie betreiben einen Blog und haben ein Kochbuch veröffentlicht mit Rezepten und Geschichten vom Leben auf dem Land (Hölker- Verlag).
© Carina Pilz

Corona-Pandemie

Die Lust aufs Land - Tipps für Kommunen

Angestaubt, spießig? Nein! Immer mehr Deutsche können sich vorstellen, die Stadt hinter sich zu lassen. Das hat nicht nur mit den dort rasant steigenden Mieten und Kaufpreisen zu tun. Was Kommunen im Umland der größeren Städte tun können, um dem Wachstumsdruck nachzukommen – und wie mehr Leben in entlegenere Landstriche gebracht werden kann – darüber geben zwei Studien mit wertvollen Tipps Aufschluss

Sie haben in Städten und anderen Ländern gelebt - und sind doch gerne aufs Land zurückgekehrt. Die Schwestern Lisa Grindmayer und Stephanie Haßelbeck wohnen wieder auf dem Bauernhof, auf dem sie großgeworden sind. Der nächste Nachbar ist mehr als einen halben Kilometer entfernt. Zusammen betreiben sie einen erfolgreichen Internetblog. Als Influencerinnen für das Landleben sozusagen zeigen sie, wie man einen Kräutergarten anlegt und wie ein Sauerteigbrot am besten gelingt. Nachzulesen ist das auch in ihrem Kochbuch „Farmmade -Rezepte & Geschichten vom Leben auf dem Land“. 

Die Sehnsucht nach dem Leben auf dem  Land

Die Schwestern treffen einen Nerv: Immer mehr Deutsche, so zeigen Studien, träumen vom Leben auf dem Land. In der Corona-Pandemie hat diese Sehnsucht deutlich zugenommen. Der Trend zum Wohnen im Grünen stellt die Kommunen im Umland der Städte vor Herausforderungen – und kann eine Chance für entlegenere Regionen sein, die um jeden Einwohner kämpfen.

Der Hof, auf den Lisa Grindmayer und Steffi Haßelbeck zurückgekehrt sind,  liegt im Landkreis Erding, etwa 20 Kilometer von München und doch in einer anderen Welt.Die beiden Schwestern können gut verstehen, dass sich viele für ein Leben jenseits der Stadt entscheiden. Vor allem in Corona-Zeiten. Denn die vielgepriesenen Vorteile der Städte heben die Nachteile wie viel Verkehr, laute Straßenkneipen und überfüllte Busse und Bahnen plötzlich nicht mehr auf. Dazu kommt:  Die Immobilienpreise steigen und steigen. Wer in der Stadt nicht immer mehr Miete zahlen will, überlegt zu kaufen. Inzwischen können sich trotz niedriger Zinsen jedoch immer weniger Menschen eine Eigentumswohnung leisten. Der Traum vom eigenen Haus verlagert sich ins Umland der Städte – oder gar so richtig aufs Land.

Difu-Tipps für Kommunen im Umland der Städte

Was aber brauchen die neuen Bewohner und Bewohnerinnen, um anzukommen? Was können Kommunen tun, damit Zugezogene und Einheimische sich wohlfühlen? Dazu geben zwei Studien Aufschluss. Sie beleuchten die Chancen und Risiken für das Umland, enthalten aber auch Handlungsempfehlungen für Kommunen in entlegeneren Regionen. „Die Corona-Pandemie wird die Bedürfnisse auf dem Wohnungsmarkt verändern“, prognostiziert Carsten Kühl, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu). „Die Möglichkeit zu Homeoffice in den eigenen vier Wänden oder der Wunsch nach mehr Naherholungsflächen sind Beispiele dafür.“

Der zu erwartenden steigenden Nachfrage stehen laut Kühl aber ungelöste Probleme gegenüber: Die Verfügbarkeit und Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die nicht ausreichenden Kapazitäten im Baugewerbe und die beschränkte Flächenverfügbarkeit in den Kommunen. Diese Probleme bestehen insbesondere im Umland großer Städte. Dort geht es vor allem darum, das Wachstum zu steuern und die „Wachstumsschmerzen“ möglichst gering zu halten. Die Kommunen müssen es schaffen, Bauland zur Verfügung zu stellen und die Infrastruktur anzupassen – Schulen, Kitas zu bauen und die Gesundheitsversorgung zu sichern. Auch das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs spielt eine große Rolle.

Carsten Kühl  Direktor Difu

Die Corona-Pandemie wird die Bedürfnisse auf dem Wohnungsmarkt verändern.“

Carsten Kühl, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu).

„Seit Jahren steigt der Druck auf die städtischen Wohnungsmärkte durch Zuzug. Neben Neubau und Verdichtung in den Städten kann der Wohnungsbau im Umland zur Entspannung der Situation beitragen“, stellt Difu-Wissenschaftlerin Ricarda Pätzold fest. Sie ist eine der Autoren der Studie im Auftrag des Verbändebündnisses Wohnungsbau.

„Voraussetzung für eine nachhaltige StadtUmland-Entwicklung in Balance ist ein Paradigmenwechsel hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung regionaler Entwicklungschancen“, betont Ricarda Pätzold. Die Pandemie habe verdeutlicht, wie wichtig ein Wohnumfeld mit Aufenthaltsqualität ist. „Es sollte immer ein langfristig wirkender Mehrwert für die bereits ansässige Bevölkerung geschaffen werden.“

Das sind die Experten-Tipps für Kommunen im Umland großer Städte

TIPP 1 Damit durch den Wohnungsbau kein Donut-Effekt entsteht und die Innenstädte gefüllt bleiben, sollen die Neubauten in Beziehung zum lokalen Stadtzentrum stehen. Statt weniger Ein- und Zweifamilienhäuser lebendige Quartiere schaffen und damit auch Vorteile für die bereits ansässige Bevölkerung.  Die Abkehr von Schlafsiedlungen also, in denen die Menschen wohnen, in den Arbeitsorten aber arbeiten und einkaufen.

TIPP 2 Regional oder landesweit tätige Institutionen wie die BaulandOffensive Hessen GmbH – eine Gesellschaft des Landes und der Nassauischen Heimstätte -  können die Kommunen unterstützen, Potenzialflächen zu identifizieren. Das gleiche gilt bei Machbarkeitsstudien und bei der Baulandentwicklung, etwa über ein Bauamt auf Zeit.

TIPP 3 Den Wohnungsmarkt als Einstieg in regionale Wohnungsmarktkonzepte regional beobachten. Die Potenziale der Innenentwicklung ermitteln, Flächenausweisungen und Wohnungsangebote auf neue Bedarfe und Zielgruppen überprüfen. Alternative Wohnangeboten für ältere Menschen in zentralen Lagen schaffen, mit kurzen Wegen zu Versorgungs- und Gesundheitsangeboten und barrierefreien Wohnangeboten.

TIPP 4 Beim Neubau im Umland bei der Planung auch die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge berücksichtigen, also Schulen, soziale Einrichtungen, Kulturangebote. Für zusätzliche flexible, modulare und auch temporäre Bauweisen einsetzen, Einrichtungen wie Krippe, Kita und Grundschule mit gemeinsamen Gebäuden und variablem Personal konzipieren. Durch Mehrfachnutzungen dieser Art lassen sich nicht nur Synergieeffekte erzielen. Damit kann auch flexibler auf wechselnde Bedarfe reagiert werden.

TIPP 5 Planungen langfristig abstimmen, wenn die Finanzierung auf verschiedene Ebenen verteilt ist - wie bei den Grundschulen. Der Bund sollte interkommunale Planungsansätze stärker fördern und die kommunalen Finanzausgleichssysteme der Länder durch eine Demografie-Komponente ergänzen. Damit kann dem schnellen Wachstum von kleineren Kommunen in Metropolregionen Rechnung getragen werden. Alternativ: Zweckzuweisungen erhöhen oder Neuzuweisungen für spezifische Infrastrukturen beim Kommunalen Finanzausgleich. Denn: Die Entlastung des Wohnungsmarktes Kernstädte rechtfertigt Ausgleichszahlungen an Gemeinden im Umland.

TIPP 6 Neue Wohnungsbauvorhaben sollten nur dort geplant werden, wo ein schienengebundener ÖPNV vorhanden ist. Bund, Ländern und Kommunen müssen noch mehr investieren, um das Wohnen im Umland verkehrs- und umweltpolitisch angemessen umzusetzen – und den Radverkehr mehr fördern.

Studie des Berlin-Instituts: Digital aufs Land

Immobilienmakler haben längst Städte ins Visier genommen, die nicht direkt an die Ballungsräume angrenzen.  Wie können aber auch noch weiter entfernte ländliche Regionen von der sich abzeichnenden Landlust profitieren? Dörfer und Gemeinden, die um jeden Einwohner kämpfen, in denen Häuser leer stehen?  Dieser Frage widmet sich die zweite Studie, die KOMMUNAL vorstellen möchte. Das Berlin-Institut für Bevölkerungsentwicklung hat Initiativen zusammengetragen, die zeigen, dass sich auf dem Land viel tut! Während die Städte immer voller und teurer werden und dabei kreative Freiräume verschwinden, entstehen auf dem Land Coworking Spaces, neuartige Unternehmensnetzwerke und Start Ups, digitale Kreativorte sowie gemeinschaftliche Wohnprojekte.

Coworkation in den Alpen
CoworkationALPS steht für die Verbindung von Community (Gemeinschaft), Work (Arbeit) und Vacation (Urlaub) vor der spektakulären Kulisse der Alpen.

„Die Digitalisierung ermöglicht es diesen Initiativen, die man bislang eher aus den Großstädten kannte, auch in fernen ländlichen Gebieten“, stellen die Verfasser der Studie „Digital aufs Land“ fest. Beispiele gibt es viele: So locken die Gemeinschaftsbüros des Vereins CoworkationALPS selbst in entlegene touristisch kaum erschlossene Alpendörfer. Der Verein bringt seit Mai 2019 Akteure zusammen, um das Expertenwissen zum Thema Coworkation, New Work (neue Arbeitswelt) und Regionalentwicklung zu bündeln und unterstützt Kommunen bei der Entwicklung neuer Ansätze. Die Wortschöpfung Co (gemeinsam), Work (Arbeit) und Vacation (Urlaub) steht für ein Konzept mit Potenzial. Corona dürfte den Trend noch weiter befördern.

Vronika Engel

Da passiert gerade wahnsinnig viel.“

Veronika Engel, Vorsitzende des Vereins CoworkationALPS

Aktuell hat der Verein  „CoworkationALPS“ 17 Locations aufgelistet. „Wir haben viele neue Ideen“, sagt die Regionalentwicklerin. „So könnten mehrere Plätze in einer Kommune einbezogen werden.“ Im strukturschwachen Nordhessen haben sich innovative Unternehmer und Gründer zum Netzwerk HOMEberger zusammengeschlossen. Sie werben mit neuen digitalen Chancen für ihre Regionen. Im "Projekt Bay" auf der Insel Rügen können Städter temporär Wohnen und Arbeiten mit Meerblick verbinden und das Landleben erproben.

„Insbesondere für entlegene Regionen sind diese Projekte eine Chance, Menschen zurückzugewinnen, die in den letzten Jahrzehnten in die Ballungsräume gezogen sind oder sogar, um  bislang überzeugte Städter anzuziehen“, sagt Catherina Hinz, Direktorin des BerlinInstituts für Bevölkerung und Entwicklung.

Catherina Hinz Berlin-Institit Direktorin

Für entlegene Regionen besteht die Chance, Menschen zurückzugewinnen.“

Catherina Hinz, Direktorin des Berlin- Instituts für Bevölkerung und Entwicklung

Coworking-Spaces und Co-Living

Die Studie „Digital aufs Land“ hat 56 solcher Projekte, Initiativen und Netzwerke sowie deren Wirkung untersucht und zusammengefasst. Während in der Stadt Coworking-Spaces vor allem von digitalen Freiberuflerinnen und Gründern genutzt werden, reiche die Bandbreite des ländlichen Coworkers vom  Digitalarbeiter, der Angestellten eines Versicherungsunternehmens über den Vereinsvorstand und Handwerker bis zur Wirtschaftsförderin. Angebote wie Workation, Co-Living oder auch das Landleben auf Zeit beim Summer of Pioneers ermöglichten es Menschen, temporär auf dem Land zu leben und zu arbeiten

Tipps der Studienmacher für Kommunen auf dem Land abseits der großen Städte

TIPP 1 Neugierig und offen sein! Mehrere Bürgermeister haben nach eigenen Angaben nicht wirklich verstanden, was da genau entsteht. Im Nachhinein beschreiben sie mit Stolz, welche positive und auch unerwartete Wirkung auf ihre Kommune ein Coworking Space oder der neue Veranstaltungsraum mit Repair- und Erzählcafé entwickelt hat. Oft lassen sich Initiatoren solcher Projekte auch für andere kommunale Vorhaben gewinnen, als Diskussionspartner, Impulsgeber und Mitstreiter.

TIPP 2 Temporäre Angebote nutzen und Neues ausprobieren. Kommunen können sich als Ort für Experimente zur Verfügung stellen. So bietet die CoworkLand Genossenschaft Gemeinden die Möglichkeit, temporär einen Coworking Space zu installieren. Einwohner des Dorfes können erproben, wie es sich auf diese Weise arbeiten lässt.  Auch der Summer of Pioneers ist ein Angebot auf Zeit. Die Bewohner auf Zeit bringen frischen Wind in die ländliche Gemeinschaft und die Gemeinden erfahren, was Menschen in der Provinz suchen. Beispiel dafür ist das brandenburgische Wittenberge. Dort konnte die Kommune kulturelles Leben und neue Bewohner auf längere Sicht gewinnen.

TIPP 3 Sich von anderen Kommunen inspirieren lassen und sich untereinander austauschen. Nicht jede Idee muss an jedem Ort erfunden werden.

TIPP 4 Projekte aktiv unterstützen: Häufig genügt es schon, wenn die Gemeinden ideell unterstützen. Indem sie Kontakte zu anderen Akteuren herstellen, etwa zu politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen oder Immobilienbesitzern oder indem sie selbst Räume günstig vermieten oder den Initiatoren kostenlos zur Verfügung stellen.

TIPP 5 Innovationen und digitale Möglichkeiten selbst nutzen: Kommunale Akteure können selbst zu Vorreitern neuer digitaler Arbeitsmöglichkeiten werden. So arbeitet der Wirtschaftsförderer des Kreises Rostock selbst in Coworking Spaces, wenn er unterwegs ist. Andere Kommunen nutzen die neuen Arbeitsorte für Seminare, Veranstaltungen und Gemeinderatssitzungen.

TIPP 6 Leerstand aktiv für neue  Nutzungen vermarkten. In vielen Kommunen gibt es Häuser, die für neue Ideen genutzt werden können und angeboten werden könnten.



Berlin-Institut:  Digitalisierung vorantreiben

Klar aber ist: Keine neue Landlust ohne Digitalisierung. Wenn Menschen ihre Arbeit zeitweilig an einen anderen Ort mitnehmen können, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Idee vom ländlichen Leben realisieren. Beim superschnellen Internet geht es vor allem in den Städten voran. Es gibt aber auch ländliche Regionen, so die Studie, in denen Ortschaften schon an das leistungsstarke Netz angeschlossen sind. In vielen Gemeinden des südlichen Schleswig-Holsteins gehört laut den Verfassern der Studie Glasfaser inzwischen zur Selbstverständlichkeit. 2010 gründeten die kommunalen Landesverbände, Städteverband, Gemeindetag und Landkreistag das BreitbandKompetenzzentrum Schleswig-Holstein, gefördert vom Land.  

Es hat sich gelohnt: In 724 der 1.100 Gemeinden ist ein Glasfaseranschluss verfügbar, in 338 läuft der Ausbau (Stand März 2021). Diese ländlichen Gemeinden erfüllen die Voraussetzungen für das Landleben 4.0.  „Wie gut eine Gemeinde ans schnelle Netz angeschlossen ist, entscheidet darüber, ob es gelingen kann, Besucher und neue Bewohner anzulocken“, lautet das Fazit von Catherina Hinz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Fotocredits: Adobe Stock, Carina Pilz, Cover Hölker Verlag, Difu, Berlin-Institut, privat, CoworkationALPS, Privat.