Landbevölkerung ist nicht Treiber der Corona-Pandemie, sagt die Landrätin von Greiz
Die Landrätin von Greiz (Luftbild der Innenstadt) rügt die Landesregierung für ihre Kritik an der Landbevölkerung in der Corona-Pandemie
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Kritik am Ministerpräsidenten

Streit um Aussage: Ist die Landbevölkerung wirklich Treiber der Corona-Pandemie?

Die Aussagen von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow haben die ländliche Bevölkerung in der Region ins Mark getroffen. In einem Interview im ZDF hatte Ramelow am Montag die Landbevölkerung in Thüringen massiv angegriffen. Es sei "offensichtlich, dass sich die Menschen auf dem Land unvorsichtiger verhalten", hatte er die hohen Inzidenzzahlen in Thüringen begründet. Nun weht ihm eine Welle des Protestes entgegen.

Die Landbevölkerung als Treiber der Corona-Pandemie. Für einen Ministerpräsidenten in einem Bundesland, das stark ländlich geprägt ist, ist diese Aussage schon - nennen wir es - mutig. Fakt ist in der Tat, dass in Thüringen vor allem die ländlich geprägten Landkreise eine hohe Sieben-Tage-Inzidenz aufweisen, wohingegen Städte wie Jena, Erfurt oder Weimar deutlich niedrigere Zahlen aufweisen. Die Infektionszahlen der Städte seien niedriger, weil die Menschen dort Abstands- und Hygiene-Regeln stärker beachteten. Konkret würden Geburtstage mit 30 Personen gefeiert oder „kleine Feiern“ unter Jugendlichen abgehalten. Diese Aussagen hatte Bodo Ramelow am Montag im ZDF ausführlich ausgeführt. Bei Twitter verteidigt er die Aussagen aktuell und greift seine Kontrahenten frontal an. 

Zu ihnen gehört die Landrätin aus Greiz, Martina Schweinsburg. Sie nennt die Aussagen von Ramelow "in höchstem Maße empörend". Im ländlichen Raum leben aus Ihrer Sicht eben häufig mehrere Generationen unter einem Dach. "Das hat nichts mit illegalem Feiern zu tun, während das Leben in den Städten mehr individualisiert ist", so die Landrätin. In ländlichen Regionen gebe es einen anderen Zusammenhalt als in einer Großstadt. 

Diskreditiert der Ministerpräsident die Landbevölkerung? 

Schweinsburg legte im MDR noch einmal nach, sprach von einer "skandalösen Aussage". "Ich bin hochgradig verärgert, weil diese Äußerung an den Haaren herbeigeführt ist, nichts weiter tut, als mit dem Finger auf andere zu zeigen und die Verantwortung der Landesregierung und der zuständigen Minister völlig ausblendet." Und weiter: "Über Jahre machen wir Sozialprogramme im ländlichen Raum, Wohnungsgemeinschaft der Generationen, Bauprogramme und alles drum und dran und jetzt wird genau dieser familiäre Zusammenhalt der Generationen als Vorwurf gemacht? Das darf doch wohl nicht wahr sein." Die Landrätin gilt seit langem als Gegnerin der rot-rot-grünen-Landesregierung. 

Martina Schweinsburg ist Landrätin des Landkreises Greiz
Martina Schweinsburg ist Landrätin des Landkreises Greiz 

Der Sprecher von Ministerpräsident Bodo Ramelow bekräftigte derweil im MDR noch einmal die Haltung der Landesregierung. Er rechtfertigte Ramelows Aussagen mit Meldungen der Gesundheitsämter über illegale Feiern im ländlichen Raum. Zudem sei ersichtlich, dass die Inzidenz in den Städten Erfurt, Gera, Jena und Weimar deutlich niedriger sei. 

Auch die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und Politikerin Vera Lengsfeld hat sich in die Diskussion eingemischt. Sie schreibt: 

"Es ist gerade zwei Wochen her, dass über MDR Thüringen die Meldung kam, dass die  außergewöhnlich hohe Inzidenz in einem Saale-Kreis zustande kam, weil es wegen verschiedener Probleme im Gesundheitsamt zu einem Datenstau gekommen wäre und deshalb die Zahl der positiv Getesteten mehrerer Tage an einem Tag als„Neuinfektion“ gemeldet wurden.

Statt die Gesundheitsämter auf Vordermann zu bringen und kritisch deren Meldungen zu prüfen, schiebt Ramelow lieber den Bürgern die Schuld in die Schuhe."

Und auch Thüringens CDU Fraktionschef Mario Voigt kritisiert Ramelow. Der Bild-Zeitung sagte er: "Die Aussagen sind unanständig und von oben herab. Man kann doch nicht die ländliche Bevölkerung für das Versagen der eigenen Landesregierung verantwortlich machen."

Die Bedingungen für die Landbevölkerung sind andere, sagt ein Virologe 

Hintergrund der Diskussion ist, dass Thüringen als einziges Bundesland noch bei einem Inzidenzwert über 100 liegt. Daher hat sich in die aufgeladene Diskussion um die Verantwortung der Landbevölkerung inzwischen auch der Virologe Alexander Kekule eingeschaltet. Dem MDR sagte er, dass in kleinen Orten oft die Kontrolle fehle. "In der Fußgängerzone in der Großstadt werden sie halt sofort gesehen und erwischt, im Zweifelsfall von der Überwachungskamera, wenn sie sich nicht an die Maßnahmen halten. Also möglicherweise ist hier auch die fehlende Kontrolle ein Faktor, den ich an Herrn Ramelows Stelle auf dem Schirm hätte." 

Bodo Ramelow hat seine Haltung erst am Abend via Twitter noch einmal deutlich gemacht: "Was ist Paradox? Wenn die Landrätin sich öffentlich erregt und nun Prof. Voigt (Anmerkung der Redaktion: Fraktionsvorsitzender der CDU in Thüringen) die gleichen Vorgaben in der Bundesnotbremse lobt. Hauptsache er und die Landrätin können reflexartig die Schuld der Landesregierung zuschieben"

Landbevölkerung
Tweet von Bodo Ramelow bei Twitter