Dörfer im Sonnenuntergang
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Interview

Landsberg: Deutschland in der Fläche stärken

22. Oktober 2020
Die Politik setzt bei Problembeschreibungen und auch bei Lösungsansätzen zu häufig die Großstadt-Brille auf. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, fordert im KOMMUNAL-Interview, die ländlichen Regionen stärker in den Fokus zu nehmen und zum Maßstab der Politik zu machen.

KOMMUNAL Die Pandemie hat sich deutlich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen im Privat- und Arbeitsleben ausgewirkt. Gilt das auch für die Beziehung zwischen Bürgern und ihrer Kommune?

Gerd Landsberg: Ganz klar: Ja. Das Vertrauen in die Kommunen und ihre Vertreter ist enorm gewachsen. Die Bürgerinnen und Bürger haben deutlich gespürt, dass sie sich in der Krise auf ihre kommunalen Strukturen verlassen können. Ich spreche hier gerne von einer Renaissance der kommunalen Selbstverwaltung. Denn auch auf bundespolitischer Ebene hat sich deutlicher als zuvor gezeigt: Ohne die Städte und Gemeinden kommen wir bei der Pandemie-Bekämpfung keinen Zentimeter voran.

 

Wie sieht es mit der Beziehungsebene Stadt-Land aus? Wie steht es um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse?

Vor der Pandemie haben sich viele Großstädter

nach ruhigeren Gefilden gesehnt. Der Arbeitsplatz in der Stadt, beziehungsweise lange Pendlerstrecken haben aber viele davon abgehalten, den Umzug raus aus der Großstadt anzugehen. Durch die Pandemie, die Erfahrungen des Lockdowns, haben Klein- und Mittelstädte, aber auch ländliche Räume enorm an Attraktivität gewonnen. Die neuen Chancen, die sich durch die vielen neuen Home-Office-Möglichkeiten ergeben, machen das Leben in ländlichen Regionen jetzt auch für Pendler attraktiv.  Wer von überall aus arbeiten kann, wird dorthin ziehen, wo es sich gut leben lässt. Wer kann, entscheidet sich gegen den heiß umkämpften Markt bei Wohnraum, Mobilität und Kitaplätzen. Wir müssen versuchen, aus der Krise auch eine Chance zu machen. In die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu investieren, vor allem auch soziale Infrastruktur zu fördern, hilft, Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft zu überwinden. Wenn wir die Klein- und Mittelstädte und die ländlichen Regionen stärken, entlasten wir damit auch die vielfach überforderten Ballungsräume.

Gerd Landsberg

Wer von überall aus arbeiten kann, wird dorthin ziehen, wo es sich gut leben lässt."

DStGB-Geschäftsführer Gerd Landsberg



 

Was das Pandemiegeschehen angeht, stehen im Moment vor allem die Großstädte im Verdacht, die Ausbreitung des Virus nicht ausreichend eindämmen zu können. Stimmt diese Einschätzung?

Das ist richtig. Und natürlich muss man auch sagen, dass gerade die Städte wie München und Berlin, die oft Ziel von Touristen sind und wo gerne und viel gefeiert wird, es auch deutlich schwerer haben, Infektionsketten nachzuverfolgen. Bei einem Ausbruch in einer Gaststätte in einem 3.000-SeelenDorf sind vermutlich alle Besucher bekannt – ein viel leichterer Job für die Gesundheitsämter im Vergleich etwa zur Hauptstadt. Interessant ist dabei aber auch Folgendes: Die mediale und gesellschaftliche Debatte konzentriert sich stark auf die Hotspots in den Großstädten, obwohl es auch viele besorgniserregende Ausbrüche in kleineren Kommunen und in weitläufigen Landkreisen gibt.



 

Wie erklären Sie sich diesen medialen Fokus auf die großen Städte?

Natürlich gilt auch in Zeiten der Pandemie „bad news are good news“ – wir lauschen interessiert den Großstadt-Storys von Schlauchboot-Partys und Ähnlichem. Das bildet aber keinesfalls die Realität ab. Bei Problemen, aber auch bei entsprechenden Lösungsstrategien, setzen wir als Erstes immer den Großstadt-Maßstab an. Das mag auch daran liegen, dass viele Journalisten, aber natürlich auch die politischen Entscheider, in der Hauptstadt oder den Landeshauptstädten arbeiten.

Wozu führt das?

Das führt dann etwa dazu, dass wir in Zeiten einer Pandemie wochenlang über die Sinnhaftigkeit von Pop-Up-Radwegen sprechen. Für die meisten deutschen Städte machen solche Konzepte überhaupt keinen Sinn. Dennoch wird die Debatte zur Verkehrswende davon getrieben. Letztlich müssen wir uns insgesamt mehr an den jeweiligen Potenzialen orientieren und diese stärken. Und die liegen zum Beispiel bei der Flüchtlingsintegration, Nachbarschaftshilfen, beim bezahlbaren Wohnraum, beim Vereinsleben, dem Ehrenamt und auch Umweltbelastungen vor allem in mittleren und kleineren Städten und ihrem Umland. Da hier im Übrigen auch die meisten Menschen leben und auch die meisten Menschen leben wollen, müssen wir bei den aktuellen Herausforderungen, aber auch generell bei innovativen Konzepten, zuallererst über die Umsetzung in der Fläche nachdenken und uns vielleicht etwas weniger auf die großen Zentren konzentrieren.